Wir bitten zum Tanz
MIKE WAMAYA, 37, gründete eine Tanzschule im Slum
FÜR MIKE WAMAYA ist Kibera der „sicherste Ort auf der Welt“. Ausgerechnet Kibera: In den riesigen Slum in Kenias Hauptstadt Nairobi trauen sich viele Menschen aus Angst vor Überfällen nicht hinein. Wenngleich selbst Bewohner aus Kibera manche Viertel meiden, ist der Ruf des Armenviertels sicher schlimmer als die Realität. Und genau darum geht es dem Ballettlehrer: Er will dem Viertel und vor allem den Menschen, die dort leben, das Stigma nehmen und stattdessen Hoffnung geben. Dafür hat Mike Wamaya vor gut fünf Jahren eine Schule in Kibera eröffnet, in der Kinder und Jugendliche kostenlos Ballett, afrikanischen und modernen Tanz lernen. „Tanz hilft Selbstvertrauen zu gewinnen und herauszufinden, was man will“, sagt der 37-Jährige.
Welche innere Kraft sich durch Tanzen entfalten kann, hat Mike Wamaya selbst erfahren. „Ich habe keine Schulausbildung“, erzählt er. Als er 15 Jahre alt war, starb sein Vater. Er brach die Schule ab, um stattdessen Geld für die Familie zu verdienen.
Traum einer eigenen Tanzschule
Eines Tages sah er das Plakat einer Tanzcompany, die Tanzstunden anbot, und er beschloss, hinzugehen. Das sollte sein Leben ändern. Er wurde Tänzer, und das mit Erfolg. „Ich hatte das Privileg, in Europa zu tanzen“, erzählt er. Nach den blutigen Unruhen 2007/2008 im Umfeld der Wahlen wusste er allerdings, dass sein Platz in Kenia ist und er dazu beitragen will, das Leben der Menschen dort zu verbessern. Zunächst gab Mike Wamaya unentgeltlich Tanzunterricht an Schulen in Kibera, bis er 2017 mithilfe von Spenden und Crowdfunding seinen Traum von einer eigenen Tanzschule verwirklichen konnte.
Sein Projekt Elimu („Ausbildung“) ist allerdings viel mehr: Kinder und Jugendliche können jederzeit kommen, um zu lesen, zu breakdancen, fernzusehen – in Maßen – oder mit Mike Wamaya persönliche Probleme zu besprechen. „Meine Tür ist immer offen“, sagt er. Es kommt auch vor, dass er mit Jugendlichen, die die Schule schwänzen, ein ernstes Wort spricht.
Soziales Engagement für Mütter
Haben junge Mütter, die zum Tanzen kommen, keine Kinderbetreuung, wird mit den Kleinen Lego gespielt. Es gibt Computerkurse und gemeinsames Kochen. Zudem verfolgt Mike Wamaya ein Aufklärungsprogramm, in dem es um sexuelle Gesundheit, die Rechte von Frauen und die Verteilung von Menstruationsartikeln geht. Ein Ziel ist, Teenager-Schwangerschaften zu verhindern. Während des Lockdowns musste der Tanzlehrer jedoch erfahren, dass junge Frauen schwanger geworden sind, auch weil sie zu Hause vergewaltigt worden sind. Daraus ergab sich eine neue Aufgabe: Insgesamt betreute er in seinem Projekt 16 jugendliche Mütter, neun von ihnen konnten wieder zur Schule gehen.
Das Projekt lebt von seinen vielen ehrenamtlichen Helfern – darunter sind auch Studenten, die über Elimu ein Stipendium erhalten haben, teils sogar in den USA oder Europa. Sein Projekt finanziert Mike Wamaya ansonsten über Spenden und privaten Tanzunterricht außerhalb von Kibera.
Im November oder Dezember will er ein großes Fest veranstalten: Kinder sollen zusammen mit ihren Eltern kommen, um gemeinsam zu tanzen und zu kochen, Skateboard zu fahren und eine BMX-Rallye zu machen. „Es soll eine richtig große Show werden“, sagt Mike Wamaya. Damit Menschen aus ganz Nairobi kommen und die kreativen und freudvollen Seiten von Kibera erleben.
Mehr dazu: www.projectelimu.org.
LAURA SAUMWEBER, 28, verbindet im Tanz Jung und Alt
TANZEN BEDEUTET für Laura Saumweber, auf eine Erkundungsreise zu gehen. „Es ist ein Raum, um loszulassen und um über den Körper immer wieder neue Seiten zu entdecken und dadurch sich selber anders kennen zu lernen“, sagt die 28 Jahre alte Choreografin und Tänzerin aus München. Wer bei ihr tanzt, horcht viel in den eigenen Körper hinein, tastet sich durch den Raum, erfährt die Nähe und Berührung mit anderen, geht mit ihnen in Verbindung. Der Entstehungsprozess ist mindestens genauso wichtig wie das Ergebnis. Auf diese Weise verlief auch das TanzLAB „In:Between“, bei dem missio ein Partner war.
Zunächst erarbeitete Laura am Münchner Jugendtheater Schauburg mit Schülerinnen das Thema „Dazwischen“ – zwischen Körpern, Bewegungen, Ländern, Kulturen – um dann in einem Tanzworkshop mit ehemaligen Straßenkindern und geflüchteten Jugendlichen in Kenias Hauptstadt daran anzuknüpfen. Die beiden Gruppen wurden schließlich zum gemeinsamen Tanzen digital über Leinwand verbunden.
Selbstvertrauen und Selbstwahrnehmung
„In der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen merke ich, welchen starken Einfluss die Auseinandersetzung mit dem Körper auf das Selbstvertrauen und die Selbstwahrnehmung hat“, erzählt Laura. Als Beispiel nennt sie Teule, ein Mädchen aus dem Kongo, das anfangs sehr verängstigt war. „Am liebsten hätte sie sich hinter dem Vorhang versteckt. Im Laufe der Woche wurde sie lockerer.“ Als sie schließlich beim Tanzen den Blick hob, habe sie eine unglaubliche Eleganz ausgestrahlt. „Das ist einer der Momente, wo du weißt: Jetzt ist etwas passiert in der Person. Sie traut sich, das zu teilen und den Raum mit ihrer Präsenz zu füllen.“
Das Tanzen hat Laura schon früh in den Bann gezogen. Dass sie in jungen Jahren schüchtern war, hielt sie davon nicht ab. Nach dem Abitur absolvierte sie zunächst eine Bühnentanz-Ausbildung in Barcelona und studierte dann Tanzpädagogik in den Niederlanden. „Wie bringt man die Bühne ins Leben von Menschen, die wenig Möglichkeiten haben, ins Theater zu gehen? Wie lassen sich Jung und Alt zusammenbringen?“ – Das sind Fragen, die sie umtreiben. Um auch Menschen zu erreichen, die wenig Berührung mit der Bühne hatten oder nicht mehr gut zu Fuß sind, geht Laura Saumweber mit Kolleginnen zu ihnen hin, um für und mit ihnen zu tanzen: in Schulturnhallen genauso wie in Seniorenheimen.
Generationen beim Tanz vereint
Bei Interaktion seien Kinder schnell dabei, erzählt sie. Bei den Senioren brauche es öfter Zeit, bis sie sich öffnen. „Sie haben Angst, es nicht zu können.“ Dabei gehe es gar nicht darum, dass sie Bewegungen nachmachen. Vielmehr sollen sie einen „Gedanken nehmen und im eigenen Körper umsetzen“. Das kann bei jedem anders aussehen. „Es ist wahnsinnig inspirierend, wie alle ihre ganz eigene Art und Weise beim Tanzen, beim Bewegen des Körpers haben“, sagt sie. Um die Generationen zu vereinen, lädt sie mit Kollegen aus ihrem Netzwerk gezielt Schulklassen und Senioren ein. Das Stück, das es zu sehen gibt, wurde so entwickelt, dass Achtjährige genauso wie 80-Jährige etwas damit anfangen können. Wie bei der „Ode an die Dinge“: Dort hinterfragen die Tänzerinnen humorvoll, wie Menschen mit Dingen materieller wie immaterieller Art umgehen. Im Anschluss folgt eine Diskussion oder auch gemeinsames Tanzen.
Texte: Sandra Tjong
Fotos: Joel Heyd
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