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Blickwechsel: Helfende Hände, helfende Herzen


31. Mai 2021
Faisal Hamdo ist Physiotherapeut und freier Autor in Hamburg. Seine syrische Heimat hat er aufgrund des Krieges 2012 hinter sich gelassen. Sein Traum ist, ein Rehazentrum an der syrisch-türkischen Grenze zu gründen. Doch dafür fehlen ihm die Papiere. Birgit Schönharting packt immer wieder die Koffer und hilft an krisengeschüttelten Orten.

0321 blickwechsel birgitWELCHE MOMENTE ihr am stärksten im Gedächtnis geblieben seien? Die Frage kann Birgit Schönharting nicht beantworten. Zu viele Erinnerungen hat die 44-Jährige und zu verschiedene. Der erste Einsatz in Jordanien vielleicht? Dort war sie 2015 für drei Monate im kleinen Ort Ramtha, direkt an der syrischen Grenze, im Einsatz. „Es war schon eine absolute Ausnahmesituation, den Schwerverletzten aus dem Krieg in Syrien zu helfen“, sagt sie.

Ein Mädchen sei ihr besonders im Gedächtnis geblieben. Etwa 10 Jahre war das Kind alt und beim Versuch, die Grenze nach Jordanien zu überwinden, war es angeschossen worden. Die Physiotherapeutin half dem Kind über Wochen hinweg. Freundete sich an. Und blieb in Kontakt, als das Mädchen endlich dem Vater nachfolgen konnte, der nach Deutschland gegangen war und dort auf seine Familie wartete. „Ich hoffe, dass ich das Mädchen bald einmal besuchen kann“, sagt Birgit Schönharting.

Den Krieg und seine Tragik hat Schönharting aus nächster Nähe kennengelernt. „Ein Mann wurde bei uns eingeliefert, dem die Hand zerfetzt worden war. Nach der Amputation erhielt er eine Art Kralle als Prothese. Das war alles, was uns zu dem Zeitpunkt zur Verfügung stand. Der Mann war zutiefst enttäuscht, denn mit dieser Prothese würde er keine Waffe mehr halten können“, erzählt sie.

Ein andermal wurde ein früherer Patient, der in ihrem Krankenhaus eine Prothese für sein verlorenes Bein erhalten hatte, erneut eingeliefert. In die Prothese war ein Loch geschossen. „Da haben wir uns schon gefragt: Wird das nie ein Ende haben?“

Den Einsatz an der syrischen Grenze hatte Schönharting für die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ angetreten. Die Liste ihrer Auslandseinsätze mit dieser Organisation und anfangs in Eigenregie ist lang: Malawi, Tansania, Komoren, Kamerun, Papua-Neuguinea, Äthiopien, Südsudan.

Als Physiotherapeutin ist sie dabei eine Ausnahmeerscheinung in medizinischen Teams. Von Land zu Land ist sehr unterschiedlich, inwieweit die Physiotherapie auch dort angeboten wird. „In Jordanien arbeiten meine Berufskollegen auf höchstem Niveau.

0321 blickwechsel einsatzIn Papua-Neuguinea hingegen konnte man mit dem, was ich tue, zunächst gar nichts anfangen“, sagt sie. Das hatte aber nicht nur Nachteile: Als sie einem zum Teil gelähmten Mann mithilfe täglicher Übung dazu verhelfen konnte, wieder gehen zu können, waren Freude und Verblüffung beim Patienten und unter den Angehörigen riesig. „Das war für die Menschen dort fast ein Wunder. Der Physiotherapie hat das in unserem Krankenhaus einen riesigen Schub an Vertrauen beschert“, betont sie.

Dass Birgit Schönharting immer wieder die Koffer packt und sich auf den Weg in krisengeschüttelte Gegenden macht, ist keine Selbstverständlichkeit. Dennoch sagt sie: „Oft erntet man in Deutschland Bewunderung dafür, nach dem Motto: Du bist ja heldenhaft. Ich empfinde das Gegenteil. Von jedem meiner Einsätze kehre ich reich beschenkt zurück.“

Ihr letzter Einsatz war im vergangenen Winter im Grenzgebiet zwischen Südsudan und Sudan, einem von den UN-Truppen entmilitarisierten Niemandsland in einem seltsamen Stillstand. Wohin es als nächstes geht? „Das weiß ich noch nicht“, sagt sie. „Aber ich freue mich schon darauf.“


0321 blickwechsel faisalWENN DIE SEHNSUCHT einen Ort hätte, um Erfüllung zu finden – für Faisal Hamdo wäre er eine Dachterrasse. Ein sternklarer Abend, sanfter, warmer Wind, und der Duft von Jasmin. Faisal Hamdo würde dort sitzen, auf dieser Dachterrasse, um ihn herum vertraute, lachende Gesichter. Der Name der Stadt, zu der dieser Ort unter den Sternen gehören würde, wäre: Aleppo.

Manchmal klickt er auf Google Earth und schaut nach seinem alten Familienhaus. Oder nach dem, was davon übrig ist, in dieser Stadt, die vor dem Krieg ein historisches Juwel und zugleich Millionenstadt war. Aleppo, das nun in weiten Teilen zerbombt ist.

Faisal Hamdo hat noch einen anderen Traum. Ob er erreichbarer ist als die Dachterrasse aus seiner Erinnerung, weiß er nicht: Er würde gerne als Physiotherapeut an der syrisch-türkischen Grenze ein Rehazentrum für Geflüchtete gründen. „Ich trage immer ein Schuldgefühl mit mir herum“, sagt er. „Weil ich hier im sicheren Hamburg lebe, mit einem guten Beruf, Kolleginnen und Kollegen, Freundinnen und Freunden und einer Wohnung, in der es Strom und warmes Wasser gibt, während andere ohne Dach über dem Kopf ums Überleben kämpfen.“ Das gehe vielen so, die den Krieg hinter sich gelassen haben und sich ein neues Leben in einem anderen Land aufbauen mussten.

Faisal Hamdo spricht nahezu akzentfrei Deutsch. Seine Sprache ist geschliffen. Am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf leitet er ein Team von Physiotherapeutinnen und -therapeuten, das auf elf Stationen arbeitet. Seine Aufgabe umfasst beides: das Management des Teams und die Arbeit mit den Patienten.0321 blickwechsel buchcover neu

Er hat ein Buch geschrieben über sein Heimatland vor dem Krieg, seine Flucht und sein Leben hier in Deutschland. „Fern von Aleppo“ ist eine feine Bestandsaufnahme über einen jungen Menschen, der bereit ist, seine Kraft und seine Zuversicht in die neue Heimat einzubringen und der die alte Heimat dennoch immer mit sich trägt. Warum ihm alles so gut gelinge und anderen nicht, wird er manchmal gefragt. Darauf gibt es keine einfache Antwort.

Auch Faisal Hamdo stammt nicht aus einer privilegierten Familie in Syrien: Er wuchs in einfachen Verhältnissen auf und die große Familie kannte durchaus Geldsorgen. Er musste dafür kämpfen, sich ein gutes Leben aufzubauen. Es ist ihm gelungen.

„Ich bin ein Sonntagskind“, sagt er. „Und ich hatte viel Unterstützung von Menschen, die mir den Weg gezeigt haben: durch meinen Bruder, der schon hier war, und durch meine deutschen Gasteltern, Freundinnen und Freunde.“ Aus Syrien hat der junge Physiotherapeut den Blick von außen mitgebracht auf Zustände, die hier normal erscheinen: „In meiner Heimat gab es kaum Seniorenheime. Ich kannte niemanden, dessen Familienangehörige dort waren“, sagt er.

Als er dann erstmals hier in Deutschland in einem Seniorenheim arbeitete, fiel ihm die Vereinsamung vieler Bewohner auf. „Eine ältere Dame weinte oft, weil sie vergeblich auf Besuch wartete“, erinnert er sich. Faisal Hamdo fing an, regelmäßig mit ihr Runden im Park zu drehen. Die alte Dame erzählte, und Faisal Hamdo lernte Deutsch und auch, dass er diesem Land und seinen Menschen etwas schenken konnte. 

TEXT: Barbara Brustlein

FOTOS: Edition-Körber/Claudia-Höhne/Damaris Giuliana

Buchtipp: Faisal Hamdo, Fern von Aleppo, Edition Körber, 17 Euro. Weitere Infos unter www.faisalhamdo.de>>

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