Burtukan und ihr Mann Erijabo mit Baby Bethlehem.DER JUBEL und die trällernden Gesänge von draußen sind im Nachsorgezimmer der kleinen Geburtsstation auf dem Gelände des Jajura Healthcenters im Süden Äthiopiens deutlich zu hören. Die 23-jährige Burtukan sitzt auf einer Liege in dem spärlich eingerichteten Raum, ihr in Tücher gewickeltes Neugeborenes fest im Arm. Auf den Klappbetten links und rechts von ihr ebenfalls zwei junge Mütter. Alle drei haben vor wenigen Stunden im Geburtszimmer nebenan ihre Babys zur Welt gebracht, für jede von ihnen war es die erste Entbindung. Burtukan lächelt verlegen, als ihr Ehemann Erijabo den Raum betritt und sich neben sie auf die Liege setzt. Unbeholfen streichelt er seiner kleinen Tochter über die Stirn. Die beiden haben sich für sie den Namen Bethlehem ausgesucht.
Vor der Tür feiert Burtukans Mutter mit Freundinnen die Geburt ihres ersten Enkelkindes. Sie haben sich mit den Familienmitgliedern der beiden anderen Frauen zusammengetan, haben ihre Körbe voller Essen im Gras abgestellt und singen und klatschen begeistert, um die Neugeborenen zu begrüßen und die Mütter zu bejubeln. „Für die Menschen hier ist neues Leben einfach etwas großartiges“, sagt Schwester Meskel Kelta, die sich zu den Feiernden gesellt hat. Die 45-Jährige ist die Koordinatorin der fünf Kliniken und Gesundheitsstationen ihres Ordens der „Maids of the Poor“, der „Dienerinnen der Armen“. Sie selbst ist in der rund zweieinhalb Autostunden weiter südlich gelegenen Humbo-Klinik stationiert. In dieser Woche ist sie zu einer Besprechung nach Jajura gereist: regelmäßig berät sie sich mit ihren Mitschwestern und dem medizinischen Personal in den einzelnen Gesundheitsstationen.
„Wir schicken keinen weg, der Hilfe braucht“
Kaum jemand in Jajura könnte sich eine medizinische Versorgung in der nächstgrößeren Stadt leisten.Die Jajura-Klinik liegt am Rande der gleichnamigen Kleinstadt, in der es keine asphaltierten Straßen gibt. Vor dem Eingangstor grasen Ziegen. Dahinter befinden sich auf weitläufigem begrüntem Gelände fünf kasernenartige Gebäude, in der eine Augenklinik, das Geburtshaus, eine Apotheke, Laborräume, eine Isolierstation und drei Krankenzimmer mit insgesamt 21 Betten untergebracht sind. „Mindestens 60 Patienten werden täglich hier behandelt“, berichtet Schwester Meskel, nachdem sie sich von den feiernden Frauen mit Umarmungen und lauten Grüßen verabschiedet hat. „Sehr oft haben wir es mit Malaria zu tun, auch Tuberkulose ist nicht selten. Dazu Mangelernährung, Viruserkrankungen, Nierenkoliken und schwere Entzündungen. Unsere Kliniken sind für die Menschen die einzige Möglichkeit, überhaupt medizinisch behandelt zu werden“, sagt sie. „Das nächste große Krankenhaus ist viele Kilometer weit entfernt und die Behandlung kostet mehr, als sich die meisten leisten können. Bei uns wird auch der aufgenommen, der kein Geld hat. Wir schicken keinen weg, der Hilfe braucht.“
Sie winkt ihre Mitschwester Abenit Haile zu sich, die Leiterin der Jajura- Gesundheitsstation. Wie Schwester Meskel hat auch sie eine fünfjährige Ausbildung zum sogenannten Health Officer absolviert und darf somit Krankheiten diagnostizieren, Medikamente verschreiben und kleine Operationen ausführen. Sie ist es, die die drei jungen Mütter bei ihren Entbindungen in der vergangenen Nacht gemeinsam mit einer Hebamme medizinisch begleitet hat. Die beiden Frauen werden ernst: „So ausgelassen wir jetzt hier die Stimmung vor der Neugeborenenstation auch erleben mögen, so ernst ist doch die Lage der Frauen“, sagt Schwester Abenit: Ein großes Problem in den Kliniken ist die weibliche Genitalverstümmelung.
Komplikationen durch Beschneidung
Schwester Meskel (Mitte) und Schwester Abenit (rechts von ihr) mit dem Team der Jajura-Gesundeheitsstation.„Die Frauen, die bei uns entbinden, sind fast ausnahmslos beschnitten“, berichtet Schwester Abenit und schildert, was das gerade für Schwangere bedeutet. „Die Frauen müssen vor der Geburt aufgeschnitten und anschließend wieder zugenäht werden. Es ist schrecklich für die Frauen und es führt oft auch zu Komplikationen.“ Obwohl weibliche Genitalverstümmelung in Äthiopien offiziell verboten ist, ist die blutige Tradition in der Gesellschaft noch tief verankert. „Alle machen mit, egal welcher Religion sie angehören“, informiert Schwester Meskel. „Eine Beschneidung suggeriert noch immer Reinheit und Unschuld. Viele Familien haben Angst, dass ihre Töchter sonst keine Ehemänner finden. Wir kämpfen dagegen, versuchen aufzuklären und die großen Gefahren aufzuzeigen - aber in den allermeisten Fällen vergebens. Kurz nach der Geburt beteuern uns viele Frauen, ihre Töchter auf keinen Fall beschneiden zu lassen. Und dann, wenn die Mädchen älter sind, tun sie es doch. Der gesellschaftliche Druck ist einfach zu groß.“
In den überdachten Wartebereichen und im Geburtszimmer haben die Schwestern Plakate aufgehängt, die vor der Beschneidung warnen. Für die, die nicht lesen können, veranschaulicht eine Zeichnung, wie gefährlich das Ritual ist. „Die Frauen leiden ständig, auch im täglichen Leben, beim Gang auf die Toilette, beim Sex - einfach immer“, mahnt Schwester Abenit. „Aber hier in der Gegend um Jajura sind alle Frauen beschnitten. Ich würde vermuten, fast zu 100 Prozent.“ Mit ernsten Mienen gehen die beiden Ordensschwestern zurück zu den Familien der jungen Frauen. Als Burtukan aus der Tür des Nachsorgezimmers tritt, brandet Jubel auf. Ihre Mutter eilt herbei, um ihr Bethlehem abzunehmen. Erijabo führt seine Frau vorsichtig über das unebene Klinikgelände hin zum großen Eingangstor. Vor der Klinik wartet schon das Motorradtaxi, das Eijabo sich zur Feier des Tages leistet: Der Fahrer soll seine Frau und ihn nach Hause bringen. Ein eigenes Transportmittel besitzt hier in der Gegend kaum jemand. Vorsichtig nimmt Burtukan im Damensitz hinter dem Fahrer Platz. Sie lächelt tapfer, als sich das Zweirad auf dem unebenen Feldweg in Bewegung setzt. Ihre Tochter Bethlehem wird von der Großmutter stolz nach Hause getragen. Das Geld reicht nur für die eine Motorradfahrt.
Schwierige Hygienebedinungungen
Burtukan wird wenige Stunden nach der Geburt ihrer Tochter per Motorradtaxi nach Hause gebracht.Darüber, was die junge Frau zuhause erwartet, gibt Schwester Meskel einen kleinen Einblick. „Wir dürfen die Situation der Frauen hier nicht mit Standards in Europa vergleichen. Für Hygieneartikel wie Einlagen und Binden haben die Familien kein Geld. Auch die Toilettensituation ist natürlich eine andere. Oft teilen sich mehrere Familien ein Plumpsklo. Für Frauen in den Wochen nach der Entbindung keine gute Situation.“ Was die Schwestern für die Frauen tun können, ist es, ihnen Tipps an die Hand zu geben, wie sie ihre Wunden auch unter prekären Umständen versorgen können. Sie überlassen den Frauen ein paar Binden und Desinfektionsmittel für Zuhause und bieten ihnen an, bei Komplikationen jederzeit wiederzukommen.
Burtukan war auch schon während ihrer Schwangerschaft einige Male zur Kontrolle im Jajura-Healthcenter. Per Ultraschall hat Abenit Haile überprüft, ob alles in Ordnung ist. „Für Kaiserschnitte müssen wir die Frauen ins teurere Krankenhaus in die nächstgrößere Stadt schicken“, bedauert die Schwester und fügt hinzu: “Viele Frauen entbinden auch Zuhause, ohne jegliche vorhergehende Kontrolle. Die Müttersterblichkeit in Äthiopien ist entsprechend groß“. Die Schwestern der „Maids of the Poor“ sind froh, dass Burtukan und die beiden anderen Frauen von ihren Familien zur Entbindung rechtzeitig in die Gesundheitsstation gebracht wurden. „Und vielleicht“, so hofft Schwester Abenit am Abend, „hat ja dieses Mal unser Flehen gefruchtet und Bethlehem und den beiden anderen Mädchen bleibt später eine Beschneidung erspart. Das wäre für uns der größte Segen.“