Solange Muringa mit ihrem Sohn.DAS DARF DOCH NICHT wahr sein! Die junge Solange Muringa steht vor ihrer Wohnungstür und weiß nicht weiter. Die Tür ist abgesperrt. Einen Schlüssel hat sie nicht. Sie ahnt, was geschehen ist: Ihr Vermieter wird den Eingang verriegelt haben, weil sie ihm die Miete schuldig geblieben ist. Als ob sie nicht schon genug Sorgen hätte! Gerade erst hatte sie gehofft, dass sich ihr Leben hier in Kenias Hauptstadt Nairobi ein wenig beruhigen würde. Mit erst 28 Jahren hat Solange Muringa schreckliche Dinge erlebt. Sie wuchs in Nord-Kivu auf, jener berüchtigten Krisenregion im Kongo, in der bewaffnete Milizen sich bekriegen und die Kontrolle über wertvolle Bergwerke erlangen möchten. Vergewaltigung gilt als Waffe, um die Frauen aus angeblich feindlichen Gebieten zu erniedrigen und einzuschüchtern.
Flucht vor Not, Gewalt und Elend
So erging es auch Solange Muringa. Der Sohn, der mit ihr in Nairobi lebt, ist heute vier Jahre alt. Sie hat ihn nicht gewollt. Eines Tages war sie auf der Flucht aus ihrer Heimat, um der Not, der Gewalt und dem Elend zu entgehen, da ließ sie das Kind sogar zurück. Irgendwo am Straßenrand. Sie konnte nicht mehr. "Aber dann bin ich wieder umgekehrt und habe ihn doch mitgenommen." Ein Lkw-Fahrer brachte sie schließlich bis ins weit entfernte Kenia. "Nairobi ist eine weltoffene Großstadt, die Menschen aus allen Nationen aufnimmt", erklärt die katholische Ordensfrau Schwester Modesther Karuri. "Die meisten fliehen vor Krieg und Konflikten. Sie kommen aus dem Kongo, Sudan, Somalia, Ruanda und Burundi. Sie tragen alle sehr schwere Lasten mit sich, sie sind voller Schmerz und Trauma.“
Die Kongolesin Solange Muringa schaffte es, sich in Kenia zurechtzufinden. "Der Lkw-Fahrer brachte mich an einen Ort, den er kannte." Es war ein Zentrum der Vereinten Nationen, in dem es Hilfe für Flüchtlinge gab. Zunächst wurde sie weiterverteilt, ins Flüchtlingslager Kakuma im Norden des Landes. Schließlich bekam sie aber die Erlaubnis, in Nairobi zu bleiben. Wer keinen speziellen Grund vorweisen kann, muss eigentlich in den Lagern leben, zusammen mit Hunderttausenden anderen. Solange Muringa gilt als "besonders verwundbar" – sie muss für ihr kleines Kind sorgen, und gleichzeitig kämpft sie mit den Folgen der Kinderlähmung, an der sie vor Jahren erkrankte.
Große Solidarität unter geflüchteten Frauen
Frauen seien wirklich besonders oft betroffen, betont Schwester Modesther Karuri: "Ihre Männer sind im Krieg gestorben, besonders in Burundi und im Kongo. Die Frauen mussten alleine mit ihren Kindern fliehen und sich in Sicherheit bringen." Sie kennt außerdem viele Geschichten von Frauen aus Somalia und Äthiopien, die jetzt in Nairobi gestrandet sind. Gerade erst hat sie einige Hausbesuche gemacht. Zwischen all der Not schimmert immer auch die Hoffnung durch. Da sind Frauen aus Burundi, die andere bei sich aufnehmen, obwohl sie selbst nicht viel haben. Dazu eine Frau aus Somalia, die für andere übersetzt und sie aufs Amt begleitet. Aber es gibt auch viele Konflikte aus der Heimat, die sich hier fortsetzen.
Jedes einzelne Schicksal zählt für Schwester Modesther und ihr Team.Wer vor Islamisten aus Somalia floh, muss manchmal auch in Kenia ums Überleben fürchten. Die Arme von al-Shabab und anderen grausamen Gruppen reichen weit. Zum Beispiel in "Little Mogadishu", wie das Stadtviertel Eastleigh wegen seiner vielen somalischen Händler und Einwanderer auch genannt wird. Eine Frau flüstert der Ordensschwester zu, dass sie nicht ohne Vollverschleierung vor die Tür gehen würde. Aber nicht, weil es ihr aufgezwungen worden wäre oder gar aus religiöser Überzeugung – nein, niemand soll sie erkennen und merken, dass sie eine andere Nationalität hat als die anderen.
Hilfsprogramme für Geflüchtete
Die Erzdiözese Nairobi bietet seit vielen Jahren Hilfsprogramme für Flüchtlinge an. In einer eigenen Werkstatt werden Prothesen hergestellt. Wer im Krieg oder auf der Flucht an den Armen oder Beinen verletzt wurde, bekommt hier Hilfe. Die Caritas Nairobi betreibt eine eigene Bank und vergibt Kleinkredite für Geschäftsgründer. Darunter sind auch viele Flüchtlinge. Manche möchten das Schneiderhandwerk lernen, andere wollen kleine Betriebe eröffnen. "Wir wollen eine dauerhafte Lösung finden. Wir statten sie mit Fertigkeiten aus, damit sie sich ihren Lebensunterhalt verdienen können", sagt Schwester Modesther, die als Vizedirektorin der Caritas Nairobi viele dieser Hilfsprogramme betreut. Aber das ist gar nicht immer so leicht, und die Erfolge stellen sich nicht automatisch ein. Solange Muringa sagt: "Ich habe es schon mit mehreren Dingen versucht, und immer bin ich gescheitert." Durch ihre körperliche Einschränkung tut sie sich beim Schneidern schwer. "Meine Kundinnen waren nicht zufrieden mit meiner Arbeit und sie kamen nicht mehr."
Am liebsten würde sie es mit einem Marktstand probieren. Das könnte sie im Sitzen erledigen, vielleicht gemeinsam mit einer Kollegin, die ihr mit der Ware hilft. "Kibanda", dieses Wort für "Marktstand" hört Schwester Modesther sehr oft, wenn sie die Flüchtlinge nach ihren Wünschen und Zielen fragt. Das eigene kleine Geschäft soll den Weg in eine bessere Zukunft ebnen – ob als Obst- und Gemüseverkäuferin oder auch als Schuhhändlerin an der Straßenecke. Und mit den verdienten kenianischen Schillings könnten dann das Schulgeld für die Kinder und das Notwendigste für den Alltag bezahlt werden. Und die Miete für die Wohnung! Allein 5000 Schilling muss Frau Muringa dafür jeden Monat aufbringen. Die umgerechnet 40 Euro bedeuten für sie viel Geld. Bevor sie sich verabschiedet, sagt Schwester Modesther zu ihr: "Ich will noch beim Vermieter vorbeischauen. Ich werde ihn fragen, wo das Problem liegt."