In den Settlements fehlt vielen das Geld für die Schule.„WIE KANN ICH predigen, dass Jesus das Brot ist, wenn die Menschen hier zwei Tage lang nichts Richtiges gegessen haben?“, sagt Pater Arnold Schmitt und sucht seine Hosentaschen nach Münzen ab. Kurzerhand kauft er alle Würste auf, die zwei junge Männer gerade an ihrem improvisierten Stand im Brennpunktviertel Pisswara über dem Feuer rösten. Ziemlich sicher das Geschäft der Woche für die beiden. Und für rund 20 Kinder, die jetzt herbeigelaufen kommen, die wohl beste Mahlzeit der vergangenen Tage. Es reicht heute und hier nicht für jeden, das weiß der Ordensmann. Aber von diesem Druck hat er sich freigemacht, wie er sagt. Für ihn zählt der Einzelne, der in einem Moment da ist.
In der Entwicklungshilfe, die sich heute eher Entwicklungszusammenarbeit nennt, steht diese Szene wohl als Beispiel dafür, wie man es nicht macht. Hilfe zur Selbsthilfe sieht anders aus. Ein Vorwurf, den der 65-Jährige gut aushalten kann. Er weiß, dass seine Art, die Dinge anzupacken, nicht jedem gefällt. Auch nicht innerhalb der katholischen Kirche. Aber provozieren will P. Arnold nicht. Er will einen guten Job machen.
Er erklärt: „Ich bin ein Missionar der alten Sorte.“ Eine Beschreibung, die heute schon mal anstößt. Er sagt: Die harten Fakten einer harten Realität hätten ihn schlicht gelehrt, lösungsorientiert zu denken und bedingungslos an der Seite der Menschen zu stehen.
Missionar in den sogenannten Settlements
Arnold Schmitt, geboren im unterfränkischen Aschaffenburg, ist Mariannhiller Missionar. Der letzte im Dienst stehende deutsche Missionar in Papua-Neuguinea. Eine aussterbende Spezies also, da die Kirche seit der Ankunft der ersten katholischen Missionare vor rund 150 Jahren längst zu einer einheimischen wurde. Seit 25 Jahren lebt und arbeitet Schmitt im Land. Seine Pfarrkirche in Goroka, der zweitgrößten Stadt im Hochland, liegt in direkter Nachbarschaft zu den sogenannten Settlements. Das sind Viertel, in denen die Ärmsten unter einfachsten Bedingungen leben. Strom wird illegal angezapft, Wasser auch. Die Lokalpolitiker drücken meist ein Auge zu, schließlich steht immer eine nächste Wahl an.
Auf der Suche nach Jobs kommen viele in die Hochlandstadt Goroka.
Pisswara heißt das nächstgelegene Viertel. Ein Name aus deutschen und englischen Bausteinen, den einst die Kolonialherren der Siedlung in der verwilderten Senke verpasst hatten. Aus der Pidgin-Sprache übersetzt bedeutet das „schlechtes Wasser“. Mehr als Dreiviertel der Bewohner Papua-Neuguineas leben von dem, was Garten und Meer für sie bereithalten. Was übrig ist, wird am Straßenrand oder auf dem Markt verkauft.
So auch in Goroka. Doch an den Rändern der immer schneller wachsenden Städte wird die sogenannte Subsistenzwirtschaft immer schwieriger. Gärten sind kaum mehr vorhanden. Jobs werden gesucht. Eine Anstellung mit Gehalt, das weite Teile der Verwandtschaft versorgen könnte. Doch diese Möglichkeiten sind noch rar in einem Land, in dem sich die Menschen innerhalb weniger Jahrzehnte aus traditionellen Lebensmodellen heraus in die Moderne aufgemacht haben. 40 Prozent der Niugini können weder Lesen noch Schreiben.
Eine Schulpflicht gibt es nicht. Sie wäre auch kaum umsetzbar auf einer Insel, auf der die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen in schwer zugänglichen Tälern und abgelegenen Dörfern leben. Wer dennoch eine Schule besuchen kann und möchte, der muss zahlen, denn die Regierung tut es nicht. Neben Einschreibegebühren, mit deren Hilfe die Schulen für Betrieb und Lehrergehalt aufkommen, ist eine Uniform Pflicht. Allein dafür muss eine Familie umgerechnet bis zu 100 Euro aufbringen. Auch Bücher müssen privat gekauft werden. Hürden, die am Ende nichts an P. Arnolds Glaubenssatz ändern: „Jeder Mensch, der lernen möchte, muss die Chance dazu bekommen.“
Zentraler Hoffnungsort: die Kirche „Immaculate Heart of Mary“. Rund um die Pfarrkirche „Immaculate Heart of Mary“ in Goroka stehen die Chancen besser als anderswo. Gerade erst hat Schmitt die baufälligen Räume mit Helfern saniert, Lehrer angestellt und Bücher, Hefte sowie Stifte besorgt. Nicht nur die Kommunionkinder und Firmlinge aus Pisswara können hier lernen, auch deren Mütter kommen inzwischen gerne ins Gemeindezentrum.
Zum Beispiel Rose Jacob. Ihr Alter weiß sie nicht. Nicht ungewöhnlich in einer Kultur, in der vieles vom Stand des Mondes abhängt, aber nur wenig vom Geburtsdatum. Aber was Rose weiß, ist, dass sie Englisch lernen möchte: „Ich habe noch die 3. Klasse besucht, dann konnten meine Eltern das nicht mehr bezahlen. Ich kann nur Chimbu und Tok Pisin sprechen. Aber ich möchte nicht mehr tagein tagaus auf dem Markt sitzen und Gemüse verkaufen. Ich könnte in einem Laden arbeiten.“
Ihre Nachbarin Josepha Mision hat sie gleich mitgebracht. Für Josepha war als Kind nach einem Jahr Schule Schluss. „Ich möchte endlich Zeitung lesen“, sagt sie. „Und eine Arbeit finden.“
Geld entscheidet über den Bildungsweg
Träumt vom Fliegen: Kem aus dem Dorf Masumave.Träume, von denen P. Arnold oft hört. Aber ob es mit dem Bildungsweg weitergeht, entscheidet neben den Noten eben das Geld. So auch im Fall von Albert Kirape, den er heute in Pisswara besucht. Ein stolzer Mann, der einst sogar Arbeit am Flughafen in Goroka gefunden hatte. Doch von seiner geringen Abschlusszahlung für die Rente ist nichts für seine Kinder übriggeblieben. Die weitverzweigte Verwandtschaft hat die Hände aufgehalten, wie so oft in den Clan- und Familienstrukturen der melanesischen Gesellschaft.
„In diesem Fall ist die Notlüge erlaubt“, sagt P. Arnold zu Kirape und den Umstehenden. „Ihr müsst Geld für die Ausbildung eurer Kinder und Enkelkinder zurückhalten. Es ist die einzige Chance auf eine gute Zukunft.“ Wo nötig, lässt P. Arnold den Worten eindrückliche Taten folgen. Einmal kaufte er bewaffneten Jugendlichen Gewehre ab unter der Bedingung, dass das Geld sofort in den Schulbesuch reinvestiert würde.
Weit draußen vor der Stadt, in den Dörfern des Hochlands, gibt es keine Rentenzahlung. Die Rechnung ist einfacher. Aber die Träume sind dieselben. Kem (13) möchte Pilot werden anstatt jeden Tag Feuerholz zu sammeln. Immerhin: Die nächste Schule, eine kirchlich getragene, ist für ihn mit einem längeren Fußmarsch erreichbar. Doch bald ist die Grundschule, die bis zur 8. Klasse geht, zu Ende. Danach bleiben die meisten zu Hause.
Zu Hause, das kann das Dorf Masumave sein. 9.000 Menschen leben hier über mehrere Siedlungen verstreut in den Wäldern und entlang des Flusses. P. Arnold betreut dort zwei Außenstationen der Kirche. Kaffeeanbauer Mark Ailawa ist hier geboren. Er ist der „Kopi King“, der Kaffeekönig, denn er besitzt eine gleichnamige alte Maschine, die die Bohnen nach der Ernte von der Schale befreit. Das beschert dem Familienvater einen angesehenen Stand in der Gemeinschaft.
Mark Ailawa finanziert mit Kaffeeanbau den Schulbesuch seiner Kinder.
Mit dem aktuellen Kaffeepreis ist er zufrieden: Für ein Kilo bekommt er derzeit fünf Kina, rund 1,20 Euro. Viermal 50-Kilo-Säcke verkauft Ailawa pro Saison zwischen April und August. Über den Highway, der einzigen Verbindung für Lastwagen vom Hochland an die Küste, verlässt dann sämtlicher Kaffee eines der wichtigsten Anbaugebiete der Erde in Richtung Weltmarkt. Aber selbst für Mark Ailawa geht die Rechnung nicht ganz auf. „Wir verkaufen zum Kaffee auch noch unser Gemüse. Aber drei Kinder über Jahre zur Schule zu schicken…“ Das ist selbst für einen „Kopi King“ nicht leicht.
Zurück in Goroka klopft Marie Theres Tagen mit ihrer Mutter am Pfarrhaus an. Seit einem Jahr sitzt die 18-Jährige zu Hause und ist verzweifelt. Sie hat es bis zur 10. Klasse geschafft, dann fiel sie durch. P. Arnold kennt die Familie und die Umstände gut. „Das Mädchen hat fünf Geschwister. Da bleibt nicht viel Zeit zum Lernen. Die Mutter hat schlicht kein Geld mehr.“ Am Küchentisch rechnet der Ordensmann alles durch, verhandelt mit der Mutter darüber, was möglich ist – und hilft schließlich mit dem fehlenden Betrag aus. Für Marie Theres geht es erst einmal weiter.
Pater Arnold gewinnt die Menschen mit seiner unkonventionellen Art.P. Arnold klappt zufrieden das Notebook zu: „Ich kann nicht das Land verändern. Der Staat kommt seinen Verpflichtungen nicht nach. Aber wenn ich dabei helfen kann, das Leben von einigen in gute Bahnen zu lenken, dann ist das ein Erfolg. Und das gelingt mir!“ Das bestätigt sein Vorgesetzter, Valentine Gryk, der aus Polen stammende Bischof von Goroka. Er ist froh, den unkonventionellen Deutschen mit in seinem Team zu haben. „Pater Arnold gewinnt die Menschen“, sagt er.
Auf dem Gelände der Pfarrkirche wird bald weitergebaut werden. Der kleine Gemeinderat, dem inzwischen viele starke Frauen angehören, hat schon die nächsten Pläne geschmiedet. „Ich investiere ins Leben“, so sieht es P. Arnold. „Und lerne dabei selbst jeden Tag dazu.“
Arnold Schmitt wird zum Weltmissionsmonat im Oktober in Deutschland unterwegs sein und von seiner Arbeit berichten.