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"Die Krise liegt in der DNA Simbabwes"


26. Januar 2021
Mthabisi Phili aus Bulawayo in Simbabwe ist Künstler und Autor. Für das missio magazin 1/2021 hat er den Gastbeitrag "Jedes Leben zählt" verfasst, in dem er über die Situation der Menschen in seinem Heimatland berichtet. #Zimbabwean Lives Matter

Jedes Leben zählt

Die Menschen in Simbabwe sind nicht frei – das Überleben ist ein täglicher Kampf. Vier Jahrzehnte lang litt die Bevölkerung unter systematischem Terror, brutaler Unterdrückung und Zensur durch das Regime von Robert Mugabe. Selten waren Menschen so eingeschränkt und gefesselt durch den Willen eines einzigen Mannes, wie meine Landsleute es waren. Im September 2019 starb Robert Mugabe in einem luxuriösen Krankenhaus in Singapur, tausende von Meilen und einen Kontinent entfernt von den Massen, die er so brutal behandelt und unterdrückt hatte. Für Mugabe war nichts anderes von Bedeutung als das Festhalten an seiner Macht. Für seine korrupte, missbräuchliche und mörderische Herrschaft wurde er jedoch niemals zur Verantwortung gezogen.

Neue Zeiten, alte Probleme

Der neue Präsident Emmerson Mnangagwa hat das gewalttätige Erbe Robert Mugabes fortgesetzt, und wie für seinen Vorgänger spielen auch für ihn simbabwi-sche Leben keine Rolle. Tatsächlich setzte Mnangagwa nach seinem Amtsantritt 2017 die Herrschaft des Terrors fort. Am 1. August 2018 schossen Soldaten während oppositioneller Proteste in der Hauptstadt Harare in die Menge und töteten mindestens sechs Menschen. Dutzende von Demonstranten wurden festgesetzt und zusammengeschlagen, ohne einen Gerichtsprozess zu erhalten. Nachdem 2019 die Kraftstoffpreise rapide angestiegen waren, kam es zu landesweiten Protesten. Die Sicherheitskräfte reagierten mit tödlicher Gewalt, töteten nicht weniger als 17 Menschen, vergewaltigten mindestens ebensoviele Frauen, verletzten 81 Menschen und nahmen mehr als 1000 mutmaßliche Demonstranten bei Razzien fest.

Erst im Juli 2020 wurde Hopewell Chin'ono, ein in Harvard ausgebildeter und mit zahlreichen Preisen ausgezeichneter simbabwischer Journalist, festgenommen, weil er offen ausgesprochen hatte, die Regierung sei korrupt. Seine umstrittene Inhaftierung zeigte, dass der Staat unter Mnangagwa genauso brutal agiert wie in den Tagen Mugabes, wenn nicht noch schlimmer.

Im August beschuldigten die katholi-schen Bischöfe in Simbabwe die simbab-wische Regierung, Menschenrechte zu verletzen. Es ist nicht das erste Mal, dass die katholische Kirche im Land gegen Menschenrechtsverletzungen protestiert und deswegen mit der Regierung im Streit liegt.

Schwieriges politisches Erbe

Im Jahr 1983 plante und verübte Robert Mugabe einen Genozid, der Gukurahundi genannt wurde und mit der Tötung von mehr als 20.000 Menschen in Matabeleland und den Midlands endete. Die Katholische Kommission für Gerechtigkeit und Frieden war die erste Institution, die diesen Massenmord untersuchte und dokumentierte. Der Gukurahundi-Genozid markierte den Beginn von Repression und Unterdrückung der Menschen in Simbabwe durch Mugabe und der Partei ZANU-PF. Ausgerechnet der heutige Präsident Emmerson Mnangagwa war während des Genozids Minister für Staatliche Sicherheit. Dieselben Personen, die in den 80er Jahren einen Genozid verübten, sind heute an der Macht; die Krise liegt in der DNA Simbabwes.

Während ich aufwuchs sprachen mei-ne Eltern und Verwandten nur mit leiser Stimme über Gukurahundi; heute hat das Flüstern die Wirtschaft, hohe Preise, manipulierte Wahlen und Korruption zum Thema. Nun sind die Rufe angesichts der unvermindert anhaltenden Repression lauter geworden. Der Protest äußert sich unter anderem im Hashtag Zimbabwean Lives Matter. Diese Geschichte ewiger Ungerechtigkeit ist auch zur Grundlage meiner künstlerischen Arbeit geworden. Ich setze mich mit der Welt auseinander, indem ich den Blick richte auf die Guten und die Bösen, die Verbrecher und die Opfer.

Kritische Kunst

Im Juni 2020 präsentierte ich meine erste Ausstellung mit politischer Kunst. Sie beschäftigte sich hauptsächlich mit der Situation in Simbabwe, und Kunstwerke thematisierten die Probleme, mit denen sich das Land zu dieser Zeit plagte: der wirtschaftliche Zusammenbruch durch die zunehmende Inflation und die stetig steigenden Lebenshaltungskosten ebenso wie Unterdrückung, Menschenrechtsverletzungen und Zensur. Die Ausstellung hieß folgerichtig "Blue-pencil", also Blaustift, was man im deutsch sprachigen Raum im Sinne von Rotstift übersetzen würde.

Zwischen 2014 und 2018 verschlimmerte sich die Lage, was mich zu einer Serie über Depression inspirierte. Mit dieser Arbeit wollte ich jenes Gefühl der Sehnsucht und des ständigen Wunsches nach Wandel zeigen, die Menschen in autoritären Regimen verspüren. Ich bündelte all meine Gefühle der Verzweiflung und Enttäuschung, ich beschrieb mich selbst als ei-nen Repräsentanten der Unterdrückten. In dieser Geschichte bin ich das Opfer. Auch kämpfte ich mit Fragen wie "Wer sind wir im Kosmos?" Und: "Wie prägen wir als menschliche Wesen den Raum um uns?"

Meine aktuellen Kunstwerke sind eine Raserei der Farben, die die unbarmherzige Unterwerfung durch den Diktator Mugabe selbst und sein Überbleibsel Mnangagwa sowie deren gewaltsame Misshandlung der Menschen in Simbabwe nachzeichnet.

#ZimbabweanLivesMatter

Es ist kein Vergnügen, die Geschichten der Verbrecher zu erzählen, aber eine Geschichte ist eine Geschichte und ich kann mich und die Menschen in Simbabwe diesen brutalen Männern nicht entziehen.

Robert Mugabe verkörperte Afrikas Kampf gegen den Kolonialismus in all seinem Zorn und auch seinen Schwächen, aber er starb nicht als Held, sondern als Verbrecher. Er starb weit weg von zuhause, verbittert, einsam und ohne ihm wohlgesonnene Stimmen jubelnder Massen. Hätte er noch etwas länger gelebt, dann hätte er die Schreie lauter und lauter werden hören: Zimbabwean Lives Matter.

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