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18. März 2021
Interview:   Kristina Balbach
Interview mit Jesuitenpater Balleis

"Bildung ist die einzige Chance für Flüchtlinge"

Abgehängt, von der Welt vergessen: Wer im Flüchtlingscamp, in Slums oder in abgelegenen Regionen der Welt lebt, hat selten eine Wahl. Gute Bildung ist die einzige Chance, davon ist der Jesuitenpater Peter Balleis, Geschäftsführender Präsident des Jesuit Worldwide Learning (JWL), überzeugt. Seit zehn Jahren bringt die Initiative Hochschulbildung an die Ränder der Gesellschaft – und fördert damit weltweit Keimzellen der Veränderung.
18. März 2021
Text: Kristina Balbach   Jesuit Worldwide Learning

mm 02 2021 nachgefragt balleis Jesuitenpater Peter Balleis Pater Balleis, Nelson Mandela sagte einst: „Bildung ist die mächtigste Waffe, um die Welt zu verändern“.

Ein treffendes Zitat. Auch unsere Studierenden kennen es. Als wir Jesuit Worldwide Learning (JWL) vor zehn Jahren als Pilotprojekt in Kakuma starteten, einem der größten Flüchtlingslager der Welt in Kenia, gehörte es zu den Lerninhalten. Wir fragten: Was bedeutet diese Aussage für dich? Es ist eine gute Übung, um ins kritische Denken zu kommen.

JWL hat einen Slogan. Er lautet übersetzt: „Miteinander lernen, um die Welt zu verändern“. Da haben Sie Großes im Sinn.

Die Veränderung ist das, was wir erhoffen. Aber zunächst steht das Miteinander im Zentrum. Das voneinander Lernen. Es ist der Schlüssel, fast mehr noch als die eigentlichen Inhalte. Und ja: Wir sind ein weltweites Netzwerk. Darin liegt unsere Stärke.

Das Programm bringt Hochschulbildung an die Ränder. Wen wollen Sie erreichen?

Menschen, die keinen Zugang zu Bildung und im Besonderen zu höherer Bildung haben. Menschen, die zum Beispiel in den Armenvierteln der großen Städte leben oder in abgelegenen Regionen. Und diejenigen, die jegliche Struktur verloren haben: Weltweit sind mehr als 70 Millionen Menschen auf der Flucht. Nicht einmal ein Prozent dieser Geflüchteten und Vertriebenen hat Zugang zu höherwertiger Bildung.

Wie kann diese höherwertige Bildung zu den Ausgeschlossenen kommen?

Durch „blended learning“. Digitale Module werden mit dem persönlichen Austausch in einem Lernzentrum kombiniert, wo es Computer und Internet gibt und wo immer ein Tutor für die Lernenden da ist. Alle Inhalte können offline bearbeitet werden. Aber jeder ist gleichzeitig in seinem Kurs einer Online-Lerngruppe zugeteilt, die immer aus Menschen aus unterschiedlichen Ländern, Kulturen und Religionen besteht. Die meisten starten mit Sprachkursen in Englisch, die mit einem Examen enden. Für viele sind gute Englisch-Kenntnisse schon der wichtigste Schritt. Für andere geht es mit akademischen Kursen weiter.

Bringen nicht Leben und Alltag in jedem Land spezifische Herausforderungen mit sich?

Ja. Und gerade miteinander können diese gelöst werden. Nehmen wir Regionen mit hohem Konfliktpotenzial, wie zum Beispiel Irak. Mit dem Modul „peace leadership“ für die Konflikt- und Friedensforschung liefern wir keine Irak-spezifischen Ansatzpunkte. Das ist nicht nötig, denn im Austausch mit Kommilitonen, vielleicht aus der Zentralafrikanischen Republik, entstehen Diskussionen. JWL ist wie eine weltweite Ideenschmiede. Das ist unglaublich bereichernd zu sehen! Das Arbeiten auf diese Weise fördert Toleranz, es entstehen Freundschaften. So können Veränderungen in die Gesellschaft getragen werden.

Wer hält diese Kurse? JWL selbst ist ja keine Hochschule.

Wir sind der Dienstleister und stellen die Struktur. Universitäten und Colleges der Jesuiten weltweit sind unsere Partner. Außerdem katholische und säkulare Hochschulen. Die Absolventen müssen sich auf höchste akademische Qualität und anerkannte Zertifikate verlassen können.

mm 02 2021 nachgefragt balleis 2Der erste Schritt in eine bessere Zukunft ist geschafft.  Foto: Jesuit Worldwide LearningUnd was motiviert Hochschulen, mitzumachen? Das Aushängeschild, Gutes zu tun?

Tatsächlich ist auch in akademischen Kreisen angekommen, dass talentierte Frauen und Männer nicht nur einer bestimmten Gesellschaftsklasse entspringen. Es gibt noch vereinzelt Hochschulen, die in ihrer privaten Blase verharren. Aber das ist nicht die Zukunft. Viele Dozentinnen und Dozenten, die Kurse für JWL halten, empfinden das als große Bereicherung. Es ist ein Vorurteil, dass Bildungsarbeit für Arme qualitativ schlechter aufgestellt sei. Im Gegenteil: Wir verlangen eher mehr, denn unsere Studierenden sind hochmotiviert und haben große Ziele. Sie wollen aus ihrer Situation herauskommen. Manche möchten ihr Land verändern. Solche Menschen lassen sich nicht mehr aufhalten.

Höchstens von den Auswirkungen einer Pandemie.

Es war großartig zu sehen, wie sich gerade durch die Einschränkungen viele in WhatsApp-Gruppen zusammengeschlossen haben, um in Kontakt zu bleiben. An den Downloads haben wir bemerkt, dass mehr Stoff angefragt wurde als sonst. Viele haben die Lockdowns genutzt, um weiterzukommen.

… während in Deutschland der Bildungs-Stillstand um sich griff.

Interessant war, dass uns im vergangenen Jahr Lehrer aus Deutschland zu unseren E-Learning-Programmen angefragt haben. Denn genau das liegt ja unserem Konzept zugrunde: Der Wechsel zwischen Präsenz und Distanz. Es ist ein Trugschluss, dass man nur die Technik benötige. Wir haben dann ein Webinar veranstaltet. Unsere Angebote an das bayerische Kultusministerium wurden jedoch nie beantwortet.

Ungeachtet dessen werden Sie das Lernprogramm weitertragen. Wohin geht es?

Wir werden uns inhaltlich weiterentwickeln, mit Kursen für politische Bildung oder der Ausbildung zum Programmierer. Außerdem möchten wir bei den Frauen genauer hinschauen: Schon jetzt machen sie mehr als die Hälfte der Absolventen aus. Muslimisch geprägte Länder sind hier sogar besser vertreten. Aber in einigen afrikanischen Ländern ist da noch Luft nach oben. Die Zentren laufen jetzt in 18 Ländern. Zuletzt konnten wir in Guyana im Amazonasgebiet ein Aus- und Fortbildungsprogramm für Lehrer starten. Interessant wäre zum Beispiel, in der Sahelregion etwas anzufangen.

… wo die Terrorgruppe Boko Haram jede Bildung bekämpft.

Glücklicherweise wurden die JWL-Zentren bislang in keinem Land bedroht. Ich denke, wir fliegen noch unter dem Radar.

Was ist mit dem Flüchtlingslager auf Lesbos, dem europäischen Sinnbild für Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit?

Wir waren schon daran, dort etwas zu starten. Aber wie gesagt, wir sind spendenfinanziert und stellen die Struktur. Wir brauchen Partner vor Ort, die das Zentrum leiten.

ZUR PERSON
Peter Balleis ist 1981 in den Jesuitenorden eingetreten. 1988 wurde der gebürtige Augsburger in Simbabwe zum Priester geweiht. Ab 2000 leitete er die deutsche Jesuitenmission weltweit. Von 2007 bis 2015 stand er dem Jesuiten-Flüchtlingsdienst (JRS) vor. Seit 2016 ist er Geschäftsführender Präsident von Jesuit Worldwide Learning (JWL) mit Sitz in Genf. Die Initiative von Jesuiten-Universitäten ermöglicht – mit akademischen Partnern weltweit – Geflüchteten und Mittellosen über Internet Zugang zu Hochschulbildung und international anerkannten Studienabschlüssen.

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