Herr Diaby, im Sommer touren Siedurch Ihren Wahlkreis, besuchen fast täglich soziale Einrichtungen oder Unternehmen. Wer kümmert sich um Ihren Garten?
Meine Frau und ich machen das gemeinsam. Zum Glück liegt der Garten nur zwei Minuten von unserer Wohnung entfernt. Ich war erst gestern dort und habe die Tomaten gegossen.
Sie sind Schrebergärtner aus Leidenschaft.
Ja, und es passt gut zu mir. Das Bundeskleingartengesetz ist das Grundgesetz in Miniatur. Mir gefällt, dass es keine Unterschiede zwischen den Mitgliedern im Verein gibt – egal, welchen Beruf oder welche Stellung in der Gesellschaft sie haben. Alle sind auf Augenhöhe und leisten ehrenamtliche Arbeitsstunden zum Wohl der Gemeinschaft. Das sind Werte, die mir als Sozialdemokrat wichtig sind. Wir sind wirklich Freunde dort.
Leider haben Sie auch Feinde. Seit den Debatten um ein strengeres Infektionsschutzgesetz im Frühjahr stehen Sie auf einer sogenannten Todesliste. Nicht zum ersten Mal.
Das ist bitter, und natürlich berührt es mich. Der Ton ist in den vergangenen Jahren rauer geworden. Die Spaltung in der Gesellschaft ist deutlich zu spüren. Dabei bräuchten wir in diesen Zeiten mehr Zusammenhalt! Was mich stärkt, ist die große Solidarität, die ich immer wieder erfahren darf. Auch über die sozialen Medien. Die überwiegende Mehrheitder Menschen in Deutschland ist für eine offene Gesellschaft und eine respektvolle Auseinandersetzung. Die andere Seite ist laut – aber sie ist nicht die Mehrheit.
Manche Ihrer Kolleginnen und Kollegen, gerade auf lokaler Ebene, setzen sich diesen ständigen Drohungen nicht länger aus.
Ich habe für mich entschieden, mich nicht einschüchtern zu lassen. Ich werde den öffentlichen Raum nicht verlassen! Die Bundesregierung hat zuletzt 89 Maßnahmen gegen Rechtsextremismus und Rassismus auf den Weg gebracht. Diese werden wir in den nächsten Jahren kontinuierlich umsetzen.
Auf Ihrer Website betonen Sie, dass Sie „als erster in Afrika geborener Schwarzer Mensch“ in den Bundestag gewählt wurden. Geben Sie sich damit nicht selbst eine besondere Zuschreibung?
Die Zuschreibung machen doch andere. Als ich 2013 kandidiert habe, sind mehrals 100 Journalisten nach Halle gekommen! Alle wollten diesen Mann sehen, der sich traut, als Schwarzer im Osten zu kandidieren. Und das in einem Land, in dem ein Viertel der Bevölkerung eine Migrationsgeschichte hat. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt bereits seit Jahrzehnten in Deutschland gelebt, studiert, Steuern gezahlt, mit meiner Frau zwei Kinder großgezogen und mich in Vereinen und Verbänden engagiert. Ich bin Hallenser. Und habe afrikanische Wurzeln. Es gibt schon eine Normalität, nach der ich mich sehne.
Darum muss es Sie ermüden, wenn man Sie zuerst nach Todeslisten befragt, statt zu Ihren politischen Schwerpunkten, zum Beispiel der Bildung.
Wir haben ja zuerst über meinen Garten gesprochen, das fand ich angenehm. Aber es ist doch so: Wir müssen über Rassismus reden, damit die Menschen erfahren, dass solche Dinge in Deutschland immer noch passieren. Aber ich möchte mich nicht darauf reduzieren lassen.
Dann gerne zu einem Ihrer Themen: „Bildung entscheidet maßgeblich über Teilhabe“, sagen Sie. Haben Sie dabei auch Ihren eigenen Werdegang im Kopf?
Ja, sicher. Meine Mutter ist gestorben, da war ich drei Monate alt. Mit sieben war ich Vollwaise. Meine ältere Schwester und ihr Mann haben mich großgezogen. Sie haben mir ermöglicht, zur Schule zu gehen, obwohl sie nicht viel Geld hatten. Für die weiterführende Schule und fürs Abitur musste ich in die Stadt und wohnte bei Verwandten. Später teilte mein Bruder sein Stipendium mit mir, darum konnte ich mein Studium beginnen. Diese innerfamiliäre Solidarität funktioniert im Senegal. Bildung ist wesentlich. Wir müssen in Kinder und Jugendliche investieren – unabhängig von ihrer Herkunft.
Ihr Weg ist eine Ausnahme. Die meisten Jugendlichen im Senegal haben keine Chance auf gute Bildung oder Ausbildung.
Gerade auf dem Land. Umso wichtiger, dass es Organisationen wie missio gibt, die Partner vor Ort unterstützen. Und dass diejenigen, die die politische Verantwortung tragen, die richtigen Prioritäten setzen. Zum Beispiel Macky Sall, der Präsident des Senegal.
Stimmt es, dass Sie ihn persönlich kennen?
Ja, wir kennen uns. Als ich in Kaolack Abitur gemacht habe, war er in meiner Parallelklasse. Wir sind im gleichen Jahr nach Dakar an die Uni gegangen. Wir waren beide früh politisch aktiv, wenn auch in unterschiedlichen Organisationen. Richtig kennengelernt haben wir uns aber erst später. Als er zum Staatsbesuch nach Deutschland kam, war ich schon bei dem einen oder anderen Termin dabei.
Über was reden Sie beide dann? Über Ihre Sicht der Bildungspolitik im Senegal?
Als deutscher Politiker bin ich da zurückhaltend. Die Menschen im globalen Süden kennen es zu Genüge, dass jemand kommt und sagt: „Ihr macht alles falsch! Macht es doch so und so.“ Nein, ich gebe nur Ratschläge, wenn ich gefragt werde. Aber natürlich haben wir uns darüber unterhalten, dass gerade junge Menschen aus den ländlichen Regionen des Senegal den Weg nach Europa auf sich nehmen. Und wie es gelingen kann, dass junge Senegalesinnen und Senegalesen durch Bildung und Ausbildung eine gute Zukunft haben, egal ob als legale Einwanderer in Deutschland oder im Senegal.
Viele Geflüchtete stammen aus der Casamance, wie Sie selbst. Dem südlichen Teil des Senegals, der als abgehängt gilt. In den 1980er Jahren versuchten Rebellen, die Region gewaltsam abzuspalten.
Der Konflikt schwelt bis heute. Den Beginn der Auseinandersetzungen habe ich noch im Senegal erlebt. Ich stamme aus der Stadt Marsassoum in einer Grenzregion. Damit war meine Familie direkt betroffen. Bei meiner letzten Dienstreise habe ich Menschen getroffen, die sich für den Friedensprozess einsetzen. Auch mit Sant‘Egidio habe ich Gespräche geführt.
Eine Friedensbewegung in der katholischen Kirche, die sich weltweit als Mediator einsetzt. Wie also kann Frieden dort gelingen?
Durch die Zentralisierung nach französischem Vorbild fühlen sich nicht alle Menschen im Senegal gleichwertig. Aber unter Macky Sall ist es ruhiger geworden. Er sieht die wirtschaftliche Benachteiligung von Regionen wie der Casamance. Aber für ihn ist Unabhängigkeit nicht die Lösung. Deshalb wurden in den vergangenen Jahren im Süden neue Straßen gebaut. Meine Stadt hat eine Brücke bekommen, eine große Bereicherung. Und es sind Krankenhäuser entstanden. Aber natürlich braucht es noch mehr Investitionen, zum Beispiel in die Landwirtschaft.
Wie nah ist Ihnen diese alte Heimat heute noch?
Ich habe noch meine Schwestern. Und einen erwachsenen Sohn, der dort geboren ist und inzwischen selbst eine Familie hat. Somit bin ich auch stolzer dreifacher Opa. Vor meinem Mandat bin ich alle zwei Jahre in den Senegal gereist. Das schaffe ich heute zeitlich leider nicht mehr.