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23. August 2023
Interview:   Kristina Balbach
Interview mit Nahost-Experte

"Die Lage für Christen in Syrien bleibt dramatisch"

Die Auswanderung von Christen aus dem Nahen Osten schreitet voran. Täglich verlassen junge und gut Männer und Frauen ihre Heimatländer. Aus welchen Gründen? Ein Gespräch mit Nahost-Experte Matthias Vogt über die Zukunft einer Krisenregion und über den Vorwurf, Christen seien regimetreu.
23. August 2023
Text: Kristina Balbach   Foto: privat

Herr Vogt, vor fünf Jahren haben Sie ein Buch veröffentlicht: „Christen im Nahen Osten – zwischen Martyrium und Exodus“. Wie aktuell ist dieser Titel?

Leider aktueller denn je. Gerade nicht mehr so stark auf den Irak bezogen, wo sich die Lage für Christen etwas stabilisiert hat – aber mit Blick auf Syrien und den Libanon.

Sprechen wir über Syrien. Wie hat sich die Situation für Christen dort entwickelt?

Die Lage für Christen in Syrien bleibt dramatisch. Vor dem Krieg 2011 gab es noch um die sechs Prozent, inzwischen zählen sie wohl nur noch zwei Prozent an der Gesamtbevölkerung. Vor allem junge, gut ausgebildete Christen sind ausgewandert. Nicht aus Sicherheitsgründen, sondern weil wirtschaftliche und politische Perspektiven fehlen. Zudem ist die Menschenrechtslage sehr schlecht. Das Regime von Präsident Baschar al-Assad hat die Verfolgung oppositioneller Gruppen weiter verfestigt. An den Fronten ist der Konflikt eingefroren. Es ist kein Krieg und es ist kein Frieden. Das alles bereitet große Sorgen. Nicht nur Christen, aber vor allem Christen, weil sie eine sehr kleine Gruppe sind.

… die in sich sehr geschlossen ist, wie ich es in Damaskus erlebt habe.

Das ist in vielen Ländern des Nahen Ostens so. Man organisiert sich über die Gemeinde oder über sogenannte christliche Clubs. Allein in Syrien sprechen wir über mehr als zehn christliche Konfessionen. Man besucht sich, aber man trifft sich gesondert. Und das nochmal gesondert von den Muslimen. Das mag Christen eine gewisse Sicherheit geben. Sie sind ja nur noch ein Tropfen im Meer der syrischen Gesellschaft, was interessanterweise nicht immer gleich auffällt. Im Zentrum von Damaskus oder Aleppo gibt es viele Kirchen. In den Vorstädten ist das anders. Zudem werden Christen von der sunnitischen Mehrheit, die nicht unbedingt auf der Seite des alawitischen Präsidenten steht, häufig als Anhänger des Regimes betrachtet, was die Beziehungen nicht verbessert.

Regimetreue wird oft auch Christen in Ägypten vorgeworfen. Was ist da dran?

Natürlich sind Minderheiten immer besonders auf Stabilität angewiesen. Gerade, wenn sie sich durch Islamisten bedroht fühlen. Und das war in Ägypten während der Herrschaft der Muslimbrüder der Fall. Irak ist ein Beispiel, wo mit dem Zusammenbruch der Diktatur Saddam Husseins ab 2003 auch das Christentum zusammengebrochen ist. Da müssen die Kirchen vor Ort Kompromisse eingehen oder sogar bis zu einem gewissen Punkt mit diesen Regimen zusammenarbeiten, um humanitäre Hilfe leisten zu können, um zu überleben. Gerade in Syrien, wo die Regierung zu jeder Bischofsernennung ihre Zustimmung geben muss. Die Möglichkeiten, sich frei zu äußern, sind begrenzt bis unmöglich. Das prägt natürlich das Bild der Kirche und macht es für Christen nicht einfacher.

Sie waren 2022 in Syrien. Wie haben Sie die Stimmung im Land erlebt?

Die wirtschaftliche Not ist in aller Munde. Manche sagen, dass es ihnen während des Krieges besser ging, weil wenigstens die Wirtschaft noch lief. Die Bischöfe sprechen inzwischen von der „Bombe der Armut“, die über die Menschen gekommen ist. Dass sie nicht mehr wissen, wie sie ihr tägliches Brot verdienen sollen. Die Sanktionen der internationalen Staatengemeinschaft betreffen zwar die Regierung sowie Profiteure des Regimes – aber es ist offensichtlich, dass sie den allgemeinen wirtschaftlichen Stillstand mitverantworten.

Nun scheint sich in Syrien etwas zu bewegen. Assad ist zurück auf dem Parkett der Arabischen Liga. Der Westen bleibt aber bei seiner isolierenden Haltung.

Klar ist: Der Regimewechsel, auf den viele, auch westliche Länder, lange Zeit gesetzt haben, wird nicht kommen. Zuletzt war wohl auch das Erdbeben ein willkommener Vorwand, um diplomatische Beziehungen wieder zu normalisieren. Aber was bedeutet die neue Zusammenarbeit Syriens mit den arabischen Ländern? Der Libanon und Jordanien fordern schon länger eine Rücknahme syrischer Geflüchteter. Aus den Golfstaaten könnte Geld für den Wiederaufbau fließen. Inwiefern sich die Wirtschaft erholt, ist fraglich. Firmen, die zum Beispiel mit den USA arbeiten wollen, verbieten die Sanktionen Beziehungen nach Syrien.

Ein Druckmittel, das an Wirkung verlieren könnte: Die arabischen Länder scheinen neuerdings auf China zu setzen.

China hat zuletzt die Aussöhnung zwischen Saudi-Arabien und Iran ausgehandelt. Das unterstreicht Chinas große Interessen in der Region. Aber China interessiert sich nicht im Geringsten für die Menschenrechtslage, genauso wenig wie Russland und die meisten der arabischen Länder selbst. Es geht um rein politische und wirtschaftliche Absichten.

Wie wird es beim krisengebeutelten Nachbarn Libanon weitergehen?

Das Land hat keine stabile Regierung und ist zahlungsunfähig. Die Menschen kommen kaum noch an Geld, dabei sind die Lebenshaltungskosten mindestens so hoch wie bei uns. Der Mittelstand ist verarmt. Wer keine Kontakte ins Ausland hat, hat große Not, über die Runden zu kommen. Das trifft auch kirchliche Einrichtungen. Mir haben Ordensschwestern unter Tränen erzählt, dass sie immer gute Rücklagen gebildet hatten und finanziell unabhängig waren. Nun ist alles Ersparte weg. Sie können kaum mehr die laufenden Kosten bezahlen.

Entwicklungen, die viele in Deutschland nicht mitbekommen. Der Libanon wie auch Syrien – zumindest bis zum Erdbeben – sind vergessene Krisen. Was können wir von hier aus tun?

Zunächst müssen die Libanesen selbst für ihr Staatswesen eintreten und die Korruption bekämpfen. Der Libanon ist eine offene Gesellschaft, viele junge Menschen sind politisch gebildet. Was wir tun können für den Libanon, besonders seitens der Kirchen, ist die Unterstützung von Einrichtungen, wie Schulen oder Altenheime. Sie halten das Land am Laufen. Brechen sie zusammen, wird aus der stillen Krise schnell eine laute Krise werden.

Kirchliche Einrichtungen sind ein Beispiel. Warum noch ist es gut für den Nahen Osten, wenn Christen bleiben?

Christen leben seit 2000 Jahren in der Region. Sie sollten gar nicht begründen müssen, warum sie bleiben wollen. Aber möchte man es begründen: Die Christen, und mit ihnen die Kirchen, bringen viele Werte und eine Offenheit in die Länder des Nahen Ostens, die gut tun. Im Libanon wäre das hervorragende Bildungssystem nicht denkbar ohne kirchlich geführte Schulen. Oder nehmen wir die vielen Sozialeinrichtungen.

Immerhin, die schwierige Lage der christlichen Minderheit im Nahen Osten scheint inzwischen mehr in der Öffentlichkeit angekommen.

Es ist ein bisschen die Angst verschwunden, damit das Narrativ „Christen gegen Muslime“ aufzubauen, denn darum geht es ja auch nicht. Natürlich gibt es islamistischen Terror. Von diesem fühlen sich aber nicht nur Christen bedroht. Es geht um Minderheiten – und da sind Christen längst nicht die Einzige im Nahen Osten. Es gibt Drusen, Alawiten, Jesiden und viele ethnische Minderheiten, wie Kurden und Armenier. Es wäre schade für die kulturelle und religiöse Vielfalt, würde auch nur eine dieser Gruppe verschwinden. 

ZUR PERSON:
Dr. Matthias Vogt, 47, ist Generalsekretär des „Deutschen Vereins vom Heiligen Lande“. Die katholische Organisation hat sich zur Aufgabe gesetzt, die Beziehung der Christen in Deutschland zu Christen in den Ländern des Nahen Ostens zu stärken. Vogt ist promovierter Islamwissenschaftler und Arabist.

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