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13. Februar 2025
Interview:   Steffi Seyferth
Interview mit Frank Schwabe

„Der größte Teil der Welt ist sehr religiös”

Seit gut zwei Jahren setzt sich Frank Schwabe als Beauftragter der Bundesregierung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit für den Schutz grundlegender Rechte weltweit ein. Mit den anstehenden Neuwahlen im Februar könnte seine Amtszeit bald enden. Im Interview spricht er über die Länder, die ihm besondere Sorge bereiten, warum religiöse Akteure stärker in den politischen Diskurs eingebunden werden sollten und was er seinem möglichen Nachfolger mitgibt.
13. Februar 2025
Text: Steffi Seyferth   Photothek

Ein Syrien ohne Assad – glauben Sie, dass dieses Syrien tatsächlich ein Land für alle werden könnte, wie es der Rebellenführer Mohammad al-Dscholani angekündigt hat?

SCHWABE: Bei vielen gibt es gerade die Hoffnung, dass wir ein Syrien erleben werden, in dem religiöse Vielfalt und Menschenrechte geachtet werden. Doch niemand weiß genau, wohin es geht. Manche sagen, es gibt eine glaubwürdige Abkehr vom Dschihadismus und Islamismus und andere halten das eher nur für Taktik. Ich mache mir große Sorgen um die religiöse Vielfalt. Ich habe mich zum Beispiel intensiv mit der Situation der Jesiden beschäftigt und frage mich: Wird es jetzt einen Versuch geben, IS-Kämpfer im Nordosten des Landes zu befreien, und was würde das für die etwa 2500 jesidischen Frauen bedeuten, die es dort noch gibt? Die Zukunft Syriens ist vollkommen ungewiss.

Mit der Lage der Jesiden haben Sie sich auch auf ihre letzten Reise in den Nordirak beschäftigt, zehn Jahre nach dem Völkermord. Gibt es schon eine Art Aufarbeitung im Land?

SCHWABE: Es gibt Ansätze von Aufarbeitung. Aber solange nicht klar ist, wie sicher die eigene Zukunft ist, ist Aufarbeitung nahezu unmöglich. Das werden wir jetzt in Syrien auch erleben. Gräueltaten aufarbeiten kann man erst, wenn man sich nicht um das tägliche Überleben sorgen muss und wenn Toleranz und religiöse Vielfalt geachtet werden. Die Zukunft der Jesiden in der Region ist vollkommen ungeklärt und die Situation der Christen im Übrigen auch.

Wie schätzen Sie die Zukunft der Christen im Nahen Osten ein?

SCHWABE: Über Tausende von Jahren haben Christinnen und Christen im Nahen und Mittleren Osten gelebt, doch heute erleben wir einen regelrechten Exodus. Es ist dramatisch, sich vorzustellen, dass die Orte, die wir aus der Bibel kennen, demnächst vielleicht alle frei von Christen sein werden.

Welche Länder bereiten Ihnen sonst noch Sorge?

SCHWABE: Ganz absurd ist die Lage für Christinnen und Christen gerade in Nicaragua, einem katholischen Land. Dort werden katholische Geistliche von der Regierung in einer Art und Weise drangsaliert, wie man es sich kaum vorstellen kann. Dann gibt es Länder wie Pakistan, wo Christinnen und Christen Unterdrückung erfahren, aber auch die muslimische Minderheit der Ahmadiyya. Ich schaue aber auch sehr stark nach Indien. Wenn die Welt ein bisschen weniger in Unordnung wäre, würde man wahrscheinlich auch mehr auf dieses Land schauen und erkennen, wie problematisch die Situation dort ist – vor allem im Hinblick auf den Hindu- Nationalismus, unter dem alle Religionen leiden.

Religionsfreiheit ist ein Menschenrecht, aber ist auch jede Religionsausübung mit dem Menschenrecht vereinbar?

SCHWABE: Nein. Es gibt natürlich Menschenrechte, die geachtet werden müssen. Schwierig wird es bei der Frage, welche Dinge grundlegend dafür sind, eine bestimmte Religion ausüben zu können. Zum Beispiel beim Thema Beschneidung. Oder auch beim Schächten, wo Tierrechte gegen religiöse Rechte stehen. Es gibt dieses Spannungsfeld und das muss man auch benennen. Aber natürlich geht es nicht darum, unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit jedes archaische Ritual zu verteidigen.

Sie haben sich dafür eingesetzt, dass indigene Bevölkerungsgruppen in die Diskussion um Religions- und Weltanschauungsfreiheit mit aufgenommen werden. Warum ist Ihnen das wichtig?

SCHWABE: Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Vor 13 Jahren war ich das erste Mal in Guatemala und habe dort großen Widerstand gegen ein kleines Wasserkraftprojekt erlebt. Ich konnte zwar verstehen, warum die indigenen Gemeinschaften mit großen Staudammprojekten ein Problem haben, aber dass ein Konflikt mit Todesopfern rund um ein kleines Wasserkraftwerk entsteht – ein Projekt, das in Flüssen oder Bächen gebaut wird und das ihnen am Ende sogar Energie liefert – das konnte ich damals nicht nachvollziehen. Heute verstehe ich das besser. Es geht um ein ganz anderes Verständnis von Mitwelt und Umwelt, um den Wald und die Quellen, die dort als beseelt angesehen werden. Dieses Verständnis hat eine religiöse bzw. spirituelle Dimension. Wenn wir solche Denkweisen besser begreifen, dann haben wir auch mehr Chancen, Konflikte zu verhindern.

Sie plädieren auch für eine stärkere Einbindung der Religionen bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele. Welche Rolle können sie hier spielen?

SCHWABE: Wenn man auf die Welt guckt, dann muss man verstehen, dass der größte Teil der Welt sehr, sehr religiös ist und dass die Menschen mit irgendeiner Religion morgens aufstehen, ihren Tag damit verbringen und abends damit ins Bett gehen. Das kann man gut oder schlecht finden, aber man muss es wissen. Und wenn man das nicht weiß, dann wird man mit der bestgemeintesten Außen- und Entwicklungspolitik ins Leere laufen. Wir können die tollsten Projekte machen, wenn die religiösen Akteure sagen, weibliche Genitalverstümmelung ist in Ordnung, werden wir nicht weiterkommen. Wenn wir aber welche für den Dialog gewinnen, die das nicht gutheißen und Frauenrechte achten, dann gibt es gute Chancen auf Veränderung.

Wurden Sie mit dieser Ansicht in der Bundesregierung gehört?

SCHWABE: Ich habe schon den Eindruck, dass manche in der Bundesregierung inzwischen verstanden haben, dass man da ein bisschen abstrahieren muss von seiner eigenen Rolle und von der sich immer säkularer entwickelnden bundesrepublikanischen Realität. Wenn man in die Welt schaut, spielt das Thema Religion eine eher stärkerer als schwächere Rolle und deswegen muss man damit umgehen. Dieses Verständnis ist zumindest bei manchen Akteuren in den letzten drei Jahren gewachsen. Das würde ich mir auch ein Stück weit zuschreiben, dass ich da das ein oder andere beitragen konnte. Aber ich bin weit davon entfernt zu sagen, dass die Bundesregierung das Thema in den Mittelpunkt gestellt hat.

In wenigen Tagen wählen die Deutschen eine neue Regierung. Was geben Sie ihrem potentiellen Nachfolger mit auf den Weg?

SCHWABE: Ich habe versucht, neue Akzente zu setzen, um das Thema Religions- und Weltanschauungsfreiheit in der Mitte des Menschenrechtsdiskurses zu verankern. Dabei nehme ich zumindest eine Bereitschaft zur Öffnung wahr, und ich hoffe, dass dieser Ansatz beibehalten und weiterverfolgt wird.

ZUR PERSON

Frank Schwabe (54) ist seit 2005 Abgeordneter des Deutschen Bundestages. Zuvor war er langjähriger Sprecher für Klimaschutz der SPD-Bundesfraktion und setzt sich seit vielen Jahren für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ein. Er ist Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und Vorsitzender der deutschen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats. Seit 2022 ist Schwabe Beauftragter der Bundesregierung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Als evangelischer Christ ist er überzeugt: „Ohne Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist keine lebendige Zivilgesellschaft, keine lebendige Demokratie denkbar.“

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