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09. Dezember 2024
Interview:   Christian Selbherr
Interview mit Bischof Tombe

Bischof von Darfur: „Eines Tages wird der Frieden kommen.”

Im Sudan tobt seit eineinhalb Jahren ein grausamer Krieg - und dennoch ist die Aufmerksamkeit dafür eher gering. Dem Bischof von El Obeid in der Region Darfur gelang es, für einige Tage nach Deutschland zu reisen. Er nutzte die Gelegenheit, um für mehr Unterstützung zu werben und die Kriegsparteien zum Einlenken zu bewegen.
09. Dezember 2024
Text: Christian Selbherr   Neil Turner

Bischof Tombe, wie haben Sie es aus dem Kriegsgebiet Darfur herausgeschafft?
Im Schutz der Dunkelheit. Wir sind durch die Wüste gefahren mit Leuten, die den Weg kannten – es hat drei Tage gedauert, für eine Strecke, die normalerweise in vier Stunden zu fahren ist.  Mehrmals haben wir das Fahrzeug gewechselt, damit uns niemand erkennt, oder uns aufhält. Dann haben wir es über die Grenze in den Südsudan geschafft. Insgesamt war ich zehn Tage unterwegs. 

Haben Sie aktuelle Nachrichten?
Nein, es gibt kaum eine Verbindung. Wir haben keinen Strom und kein fließendes Wasser. Ich habe keine Nachrichten von meiner Familie oder zu meinen Mitbrüdern. Sie wissen nicht, wo ich bin. 

Im April 2023 wurde sogar Ihre Kathedrale bombardiert. 
Ja, es gab vier Einschläge auf dem Gelände der Kathedrale. Das Pfarrhaus, in dem ich wohne, wurde zerstört. In der Kathedrale sind die Glasfenster zersplittert. Die Marienstatue auf dem Dach ist zerbrochen. Und das Dach der Kirche ist an vielen Stellen beschädigt. Wir haben es während der Regenzeit mit  Plastikplanen abgedeckt, damit wir das Wasser abhalten. Aber wir feiern trotzdem weiter dort die Messe. Wir sind jetzt noch zu fünft. Vier Priester und ich.

Wie sieht es in anderen Städten und Gebieten in Darfur aus?
Es gibt weitere Pfarreien in Darfur. Wir verfolgen die Nachrichten von dort, so gut es geht. In der Stadt El Fasher gibt es andauernd Beschuss und Bombenangriffe. Unser Priester ist noch dort, er kommt nicht mehr heraus. Ein Schwesternhaus ist komplett zerstört, unsere Kirche teilweise. Aber der Priester ist noch dort.

Ist er nicht in großer Gefahr?
Doch, natürlich. Jeder, der sich in der Stadt bewegt, ist in Gefahr. Es hängt nur davon ab, wo eine Bombe hinfällt, ob jemand stirbt, oder ob er noch am Leben bleibt. Aber wegen der vielen Straßensperren ist es fast unmöglich, herauszukommen. Wir müssen warten, bis eine ganze Gemeinde gemeinsam fliehen kann, dann werden auch ihre Priester mit ihnen mitgehen. Es wäre viel zu gefährlich, alleine zu gehen. Frauen und Kinder werden manchmal leichter durchgelassen – Männer werden aufgehalten und gezwungen, sich zu bewaffnen und mit in 
den Krieg zu ziehen.

Wie ist der Alltag für Ihre Gläubigen – sind sie einigermaßen sicher?
Wir bieten weiterhin die Sakramente an, wir feiern Gottesdienst. Vor zwei Wochen konnte ich sogar einen Priester weihen. Wir bleiben da, auch wenn es uns an den grundlegenden Dingen fehlt. Wir möchten den Menschen helfen, wir wollen ihnen Mut machen. Eines Tages wird der Frieden kommen. Die Menschen werden frei sein, frei von Angst und Trauma. Aber ich möchte betonen: Es sind nicht nur unsere Kirchen, die leiden. Die ganze Bevölkerung leidet, ob es Christen oder Muslime sind. Der Krieg zwischen den beiden verfeindeten Parteien ist kein  Religionskrieg. Es ist ein Machtkampf, ein Krieg um Reichtum. Wer diesen Krieg gewinnt, der wird reich werden. Er allein hat die Macht und den Zugang zu Reichtümern und Bodenschätzen.

Welche Reichtümer gibt es denn zu verteilen?
Seit der Unabhängigkeit vor 70 Jahren wird der Sudan von der Armee regiert. Alles, was ins Land investiert wird, gehört der Armee. Gold, Platin, Erdöl – sie kontrollieren alles. Und sie wollen  das mit niemandem teilen, auch nicht mit den Rebellen, die jetzt gegen sie kämpfen. Aber die Rebellen haben das gleiche Anliegen: Sie kämpfen auch nur um den Zugang zu den Reichtümern.

Wie verhält es sich mit dem Einfluss ausländischer Mächte in Darfur? Russland, Ägypten und die Arabischen Emirate zum Beispiel.
Deren Einfluss war auch schon vor dem Krieg da. Sie spielen Schach mit uns, sie benutzen uns wie Marionetten. Russland unterstützt beide Seiten. Ägypten hat eigentlich eine vergleichsweise positive Rolle als Mediator gespielt, ist aber zunehmend in die Kritik geraten. Im Moment sehe ich keine Nation, die die Kriegsparteien zum Dialog und zum Frieden bewegen könnte.

Was führt Sie zu dieser Einschätzung?
Vergangenes Jahr brachten die USA und Saudi-Arabien die Kriegsparteien zusammen. Sie vereinbarten eine Kampfpause, damit Hilfslieferungen möglich werden. Aber niemand hielt sich an diese Friedensvereinbarung. Schon am selben Tag gingen die Kämpfe weiter, als sei nichts gewesen. Und dabei ist es seitdem geblieben. Die bewaffneten Gruppen sagen nein zu jeder Form des Dialogs. Sie sind bereit, bis zum bitteren Ende zu kämpfen. Entweder sie siegen, oder sie werden besiegt. Das ist momentan ihr Standpunkt. 

Und was ist Ihr Standpunkt?
Als Kirche fordern wir die Mächtigen in der Welt auf, dass sie ihren diplomatischen Einfluss nutzen und die Kriegsparteien zu Verhandlungen bewegen. Es muss doch wenigstens einen Korridor geben für Hilfslieferungen für die vielen Menschen, die am Hunger sterben oder von Krankheiten bedroht sind. Jetzt gerade ist wieder Cholera ausgebrochen. Es muss medizinische Hilfe gebracht werden für die Menschen vor Ort, die so sehr leiden. Ich denke mir, man könnte doch vielleicht auf die Nachbarländer des Sudan einwirken, die zum Teil mit den Kriegsparteien befreundet sind, und vielleicht gemeinsam eine neue diplomatische Initiative starten. 

Wie kann die Kirche vor Ort derzeit noch helfen?
Ein Mal ist es uns gelungen, auf dem Markt Lebensmittel zu bekommen, die wir dann an unsere Pfarreien verteilt haben. Aber das Problem war, dass es keine Telefon- oder Internetverbindung gab, wir haben die Menschen also nur sehr schwer dort erreicht, wo sie jetzt leben. 

Können Kinder noch zur Schule gehen? 
Oh je, mit dem Krieg ist fast das ganze Schulsystem zerstört worden. Aber am 1. August haben wir einige unserer kirchlichen Schulen in El Obeid wieder geöffnet. Aber am 14. August gab es in einer Schule eine große Explosion, und 35 Mädchen im Alter von 13, 14, 15 Jahren sind getötet worden. Und ich weiß nicht wieviele andere ins Krankenhaus gekommen sind, man musste ihnen Arme oder Beine amputieren. Jetzt haben viele Eltern natürlich große Angst, ihre Kinder zur Schule zu schicken, nachdem dieses schreckliche Ereignis passiert ist. Wir versuchen trotzdem, die Schulen offenzuhalten. Aber die Menschen sind geflohen und überall verstreut, sie haben keine Häuser mehr, kein Wasser, kein Essen. Sie wollen keine Schulbildung, sie wollen nur noch überleben.

Und werden Sie jetzt wieder zurückgehen nach Darfur? 
Es wäre nicht gut für die Menschen, wenn ich zu lange wegbliebe. Ich werde bei ihnen bleiben. 

Anmerkung der Redaktion: Nur wenige Wochen nach dem Interview mit dem missio magazin wurde auf Bischof Tombe Trille Yunan ein Anschlag verübt. Der Bischof war auf dem Rückweg von einer Reise nach Europa, als er bei seiner Ankunft zunächst von Soldaten der Armee angehalten wurde. Sie nahmen ihm ausländisches Geld ab und bedrohten ihn. Wenig später geriet er in die Hände von Rebellen der „Rapid Support Force“ (RSF). Er wurde zusammengeschlagen und erlitt schwere Verletzungen, bis die Angreifer von ihm abließen. In einer kurzen Nachricht schreibt der Bischof: „Mein Gesundheitszustand ist stabil. Ich fühle mich auf dem Weg der Besserung.“

ZUR PERSON

Yunan Tombe Trille Kuku Andali wurde 1964 in den Nuba-Bergen in der Region Süd-Kordofan geboren. Seit 2017 ist er katholischer Bischof der Diözese El Obeid, die zur Region Darfur (Sudan) gehört. Noch zu Zeiten des islamistischen Herrschers Omar al-Bashir (er regierte von 1993 bis 2019) terrorisierten die arabischen Reitermilizen der „Janjawid” die Menschen in Darfur. Hunderttausende mussten über die Grenze ins Nachbarland Tschad fliehen. Im jetzigen Krieg sind ehemalige Mitglieder der „Janjawid” zu den Anführern der „Rapid Support Force” (RSF) geworden. Die RSF kämpft gegen die reguläre Armee des Sudans
um die Vorherrschaft und hat weite Teile des Landes unter ihre Kontrolle gebracht.

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