Frau Staatsministerin, bei der Rückgabe von kolonialer Beutekunst gibt es oft Bedenken, ob denn in den jeweiligen Ländern überhaupt geeignete Museen vorhanden sind.
Man muss ein bisschen vorsichtig sein mit diesem Argument. So etwas darf keine Ausflucht sein aus der Restitutionsdebatte. Gerade in Papua-Neuguinea war ich sehr beeindruckt von dem Nationalmuseum, das an Größenordnung und Professionalität mit jedem europäischen Museum mithalten kann. Das große Defizit sind die Informationen, die nicht zugänglich sind.
Inwiefern fehlen Informationen?
Wenn man die Gegenstände dort betrachtet und auf die Schilder guckt, dann sieht man oft nur eine Jahreszahl aus den 80er- oder 70er-Jahren und fragt sich: Sind diese Gegenstände alle so neu? Nein, das ist einfach nur das Datum, wann sie zurückgegeben wurden und seit wann Papua sie im Besitz hat und sie sich im Nationalmuseum befinden. Viele andere Informationen zur
eigentlichen Herkunft fehlen.
Wie steht es insgesamt um die deutsche Verantwortung? Haben wir als Kolonialmacht im Pazifik wirklich so viel Kultur zerstört?
Eindeutig ja. Das ist etwas, was ich bisher in allen Ländern, auch auf dem afrikanischen Kontinent, immer geschildert bekommen habe: Dass es einen Abbruch gibt in der Weitergabe ihrer eigenen oralen Geschichtstradition, auch in ihren Familiengeschichten. Es ist sehr viel Kultur zerstört worden, und nicht nur das: Auch in den sogenannten deutschen Schutzgebieten im Pazifik sind unter deutscher Kolonialherrschaft zahlreiche Menschen getötet worden.
Dieser Teil unserer Geschichte scheint heute fast vergessen.
Um zu zeigen, wie präsent die Kolonialzeit ist: In jedem der drei Staaten gab es unter meinen Gesprächspartnern mindestens einen, der einen deutschen Urgroßvater hatte. Das war der stellvertretende Premier von Papua-Neuguinea, auf den Salomonen die Vertreterin der Zivilgesellschaft, und auf Samoa ist es der Umweltminister Cedric Schuster.
Wie haben sich Ihre Gespräche dadurch verändert?
Wir erleben ja oft, dass am Anfang eines Gesprächs über die Kolonialzeit die Dinge etwas positiver dargestellt werden. Wenn man tiefer einsteigt, wird schnell klar, dass natürlich diese Urgroßmütter selten freiwillig „Mütter“ geworden sind, sondern dass da oft Gewalt im Spiel war, und dass sich die deutschen Kolonialherren gezielt Töchter von Chiefs genommen haben, um sich damit Autorität und Respekt anzueignen. Wenn man an diesem Punkt angekommen ist bei der Aufarbeitung, dann wird einem auch klar, welche emotionale Dynamik darin bis heute liegt.
Sie haben vor Ort auch darüber gesprochen, wie man anhand von deutschen Akten aus der Kolonialzeit strittige Landrechte klären kann.
Landkonflikte sind absolut essenziell, zumal wenn wir auf den Klimawandel schauen. Ein großes Problem ist ja, dass Menschen umgesiedelt werden müssen durch die steigenden Meeresspiegel, von der Küste weg ins Landesinnere. Und wenn eben ein Dorf sich woanders ansiedelt, wo vielleicht schon andere Menschen leben, muss das sehr behutsam funktionieren, weil es Landnutzungskonflikte noch einmal verschärfen kann.
Was ist da genau geplant?
Auf Papua war es so, dass die Landkommission von sich aus das Gespräch mit mir gesucht hat. Es wird demnächst eine Delegation von Experten nach Deutschland kommen, die hier am Bundesarchiv über mehrere Wochen hinweg sich mit den Archiven befassen werden. Wir wissen ja selbst, dass unsere deutschen Vorfahren immer schon sehr akribisch alles dokumentiert haben und deswegen auch viel vorhanden ist an Grundbüchern und an Unterlagen. Und das kann dort im Pazifik von sehr, sehr hohem Wert sein.
Im Pazifik sind gerade auch von der evangelischen und katholischen Mission viele Ländereien in Besitz genommen worden.
In Papua habe ich den evangelischen Bischof Jack Urame getroffen. Die Begegnung war sehr beeindruckend. Es wurde schnell deutlich, dass in einem Land, in dem der Staat an so vielen Stellen versagt, die Kirche einfach einen großen Teil der Daseinsfürsorge abdeckt, seien es Schulen oder Krankenhäuser, und damit Aufgaben übernimmt, die der Staat eigentlich übernehmen müsste. Gleichzeitig setzt sich die Kirche aber intensiv mit der Vergangenheit auseinander.
Auf welche Weise?
Bischof Urame sagte, inzwischen sei das Land durch schlechte Regierungsführung in seine Einzelteile zerfallen und die Gewalt nehme überhand. Und er sagte, dass es heute darum ginge, an die eigene Identität anzuknüpfen und zu sehen, was ist davon in der Kolonialzeit zerstört worden, und was kann man an Heilungskräften, an traditionellen Aussöhnungsprozessen vielleicht heute wieder nutzbar machen? Er sagte auch: Nicht nur die Kolonialherren, auch die Kirchen hätten ihren Teil an der Zerstörung der alten Traditionen und Kulturen zu verantworten.
Deutschland ist heute in der Region ein großer Geldgeber beim Kampf gegen den Klimawandel.
Das wird vor Ort sehr respektiert. Ich habe mir aber auch die berechtigte Kritik gerade von kleinen Staaten wie Samoa und deren Umweltminister Schuster anhören müssen, der sagt: „Das ist schön, dass ihr Gelder für große Projekte über IWF und Weltbank zur Verfügung stellt. Da kommen wir kleineren Länder aber kaum ran.“ Wir brauchen hier ganz konkrete Hilfsmaßnahmen, damit diese Riesenprogramme auch für kleine Staaten handhabbar werden. Man kann, wenn es gut gemacht ist, auch mit wenig Mitteln sehr viel Konkretes erreichen.
Es gibt im Pazifik auch noch den strategischen Wettstreit zwischen China und den USA.
Es ist kein Geheimnis, dass es im Indo-Pazifik Spannungen gibt. China ist ein wichtiger Handelspartner, was für einige Staaten teilweise auch Abhängigkeiten schafft. Ihre Beziehungen zu China und anderen Staaten gestalten die Staaten natürlich selbstständig. Unabhängig davon arbeiten wir in den Vereinten Nationen und anderen multilateralen Foren eng zusammen.
Können Sie den Pazifik mit Ihren Reisen nach Afrika vergleichen?
Ich war auch schon in Namibia, in Togo, in Tansania. Da sind die Lagen jedes Mal völlig unterschiedlich. Jedes Land hat seinen eigenen Umgang mit der Vergangenheit. Nicht immer sind dabei Regierung und Zivilgesellschaft auf einer Linie. Was ich aber in all diesen Ländern oft gehört habe: Man muss die Vergangenheit kennen und verstehen, um die Zukunft zu gestalten.