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23. Januar 2024
Interview:   Kristina Balbach/Steffi Seyferth
Interview mit Hajo Lohre

Afrikamissionar Lohre über seine Entführung in Mali

Ein Jahr lang war der deutsche Afrikamissionar Hans-Joachim "Hajo" Lohre in Mali in der Gewalt von Islamisten. Wie hat er diese Zeit erlebt? Und welche Hoffnungen hat er für die Zukunft eines Landes, dessen Menschen sich täglich gegen Armut und Radikalisierung stemmen müssen.
23. Januar 2024
Text: Kristina Balbach/Steffi Seyferth   Foto: Raphael Athens

Pater Hajo Lohre, ziemlich genau ein Jahr nach Ihrer Entführung kamen Sie frei. Wie geht es Ihnen?

Ich bin dankbar, frei zu sein. Aber ich kann sagen, dass ich während der Zeit von einem tiefen inneren Frieden erfüllt war. Ich wurde Gott sei Dank gut behandelt.

Haben Sie Ihre Entführung geahnt?

Nein, ich hatte keine Ahnung. Aber spätestens seit der Entführung von Schwester Gloria war uns das Risiko bewusst (die kolumbianische Ordensschwester wurde 2017 von Islamisten entführt und im Oktober 2021 freigelassen, Anm.d.Red.). Es ist, wie wenn man in ein Auto steigt und natürlich um das Unfallrisiko weiß. Aber man denkt: nicht heute.

Haben Sie sich nicht gefragt: Warum gerade ich?

Ich wurde entführt, weil ich ein weißer Europäer bin. Und weil ich als Priester und Leiter des „Zentrums für Glaube und Begegnung“ zugänglich bin, was bedeutet, dass jeder auf das Gelände kommen kann. Es gibt keine Mauern und Wächter wie bei den inzwischen nur noch wenigen anderen Europäern.

Wollen Sie uns erzählen, wie Sie entführt wurden?

Ich habe am Christ-Königs-Sonntag am Morgen unser Haus verlassen, um im Stadtteil Kalabankura die Messe zu feiern. Plötzlich kam ein Auto angefahren und hat meinen Wagen blockiert. Drei Männer sprangen heraus. Einer kam mir entgegen und sagte: „Pater, Sie sind festgenommen!“ Ich wurde auf den Rücksitz ihres Autos gezerrt. Dabei muss mein kleines Holzkreuz vom Lederband abgegangen sein. Mir wurden Handschellen angelegt, und ich bekam eine Mütze über den Kopf. Dann ging es ganz schnell aus Bamako raus. Abends fragte ich den Mann, der der Chef der Gruppe zu sein schien: „Wieso ich?“ Er antwortete, aus Rache dafür, dass Deutschland im Krieg gegen Al-Qaìda sei. Er fordere, dass Deutschland alle Soldaten aus Mali abziehe, damit die Scharia eingeführt werden könne.

Sie wurden in die Wüste gebracht. Wie muss man sich die Tage dort vorstellen?

Meine Unterkunft sah so aus: vier Pfosten, darüber eine Plane als Sonnenschutz. Auf dem Boden eine Plastikmatte und eine Decke. Ich stand immer mit der Sonne auf, ging morgens und abends jeweils 30 Minuten lang spazieren. Zum Frühstück gab es Brot und Milch. Anschließend feierte ich Messe, ohne Wein aber mit von den Dschihadisten frisch gebackenem Brot. Jeden Tag dachte ich an die Menschen, deren Namens- und Geburtstage ich im Kopf hatte. Ich betete für meine Freunde, Familie und Mitbrüder. Zweimal am Tag gab es eine warme Mahlzeit: Reis oder Nudeln mit Ziegen- oder Schaffleisch. Mit Sonnenuntergang legte ich mich wieder hin. Alle zwei bis drei Wochen wechselten wir die Gegend.

Wie hat Ihnen Ihr Glaube geholfen?

Ich wusste ja, dass so eine Entführung auch mal sechs Jahre dauern kann. Vielleicht auch nur drei, wenn man Glück hat. Geholfen hat mir, es anzunehmen. Da ich in der Vergangenheit Seminare zu „Selbstkenntnis“ gegeben hatte, war ich in der Lage, dieser Entführung einen Sinn zu geben. Ich dachte an die Geschichte von Josef im Alten Testament, der von seinen Brüdern als Sklave nach Ägypten verkauft wurde und am Ende Verwalter der Kornspeicher wurde. Im Sinne von: „Das Böse, das ihr mir getan habt, Gott hat es in Gutes gewandelt (Gen 50,20). Ich überließ es Gott, den Tag meiner Befreiung zu bestimmen. So konnte ich die Zeit sehr gelassen, aus meinem Glauben heraus, leben. Ich habe zum Beispiel auch den muslimischen Fastenmonat Ramadan für 30-tägige ignatianische Exerzitien genutzt.

Wie kam es dann zu Ihrer Befreiung?

Ich habe keine Ahnung. Ungefähr ein Jahr nach meiner Entführung, kam einer der Dschihadisten zu mir und sagte: „Partir Allemagne!“ Nach Deutschland gehen! Schnell, schnell. Und das war es.

Sie leben und arbeiten seit mehr als 30 Jahren in Mali. Was ist eigentlich der Kern des Konflikts in Mali?

Die Menschen leiden unter der großen Armut und der Korruption. Viele Menschen zieht es in die Stadt, da durch den Klimawandel die Wüste voranschreitet und es weniger Weideland für die Herden und gleichzeitig mehr Konflikte zwischen Hirten und Bauern gibt. Die hohe Arbeits- und Perspektivlosigkeit ist ein großes Problem. Auch, dass es nur wenig Bildungschancen für junge Menschen gibt.

Wie haben sich die politischen Unruhen im Alltag ausgewirkt?

Wir konnten schon lange nicht mehr überall hinfahren. Mehr als Zweidrittel des Landes wurden früh als „No-go-Area“ eingestuft. Um uns und andere nicht in Gefahr zu bringen, haben wir uns daran gehalten. Ein Beispiel: Ich half oft in einer Pfarrei auf der rechten Flussseite von Bamako aus, da es für mehr als 30 Pfarreien nur vier Priester gibt. Schon Ende 2022 gab es eine Warnung der deutschen Botschaft, dass es zu Attentaten in der Nähe des Flughafens kommen könnte. Genau dort, wo ich Messen feiern sollte. Ich habe dann mit einem afrikanischen Priester der Pfarrei getauscht, da ein Weißer in einem Auto eine Zielscheibe darstellt.

Warum konnten die UN-Missionen im Land nichts bewirken?

Ich denke, es lag an der Formulierung des Auftrags. Das Mandat beinhaltete, das Friedensabkommen zwischen den Tuareg und der malischen Regierung zu überwachen. Aber das Mandat beinhaltete nicht, die islamistischen Gruppierungen zu bekämpfen. Und darum konnten sie Stück für Stück das Land unter ihre Kontrolle bringen. Insgesamt möchte ich aber betonen, dass die Malier sehr gastfreundlich sind und besonders ältere Menschen respektieren. Das habe ich auch in meiner Gefangenschaft erfahren: Als ich einmal ein T-Shirt gewaschen habe, haben die jungen Leute spontan angeboten, meine Wäsche zu waschen.

Welche Zukunft hat Mali vor sich?

Das Land hat so viele Möglichkeiten! Alles hängt davon ab, dass Politiker an die Macht kommen, die aufrichtig sind, das Wohl des Volkes im Sinn haben, die Landwirtschaft und gute Schulbildung fördern – und auch Verträge mit internationalen Firmen abschließen, damit für die Gewinnung von Bodenschätzen künftig kein Raubbau mehr betrieben wird, sondern der Erlös den Menschen zugute kommen kann.

Und wie steht es um die Zukunft des interreligiösen Dialogs?

Seit vielen Jahren, und meiner Ansicht nach noch immer, ist Mali ein Musterbeispiel für das friedliche Zusammenleben von Muslimen und Christen. Wir besuchen uns gegenseitig und feiern auch Feste miteinander. Seit 2001 gibt es eine Allianz der muslimischen und christlichen Führer. Vor wenigen Jahren hat diese eine gemeinsame Broschüre zum Frieden veröffentlicht. Sie wurde der Regierung und den Regionalverwaltungen überreicht. Sie soll in die verschiedenen Landessprachen übersetzt werden.

Der interreligiöse Dialog ist ihr Arbeitsfeld. Welchen Rückschlag hat ihnen Ihre Entführung bereitet?

Keinen. Gerade meine Entführung hat Muslime und Christen noch einmal zusammengebracht. Während ich in der Wüste war, wurden immer wieder Gebete von Muslimen in den Zeitungen veröffentlicht, die die Dschihadisten baten, mich freizulassen. Vielleicht ist das eingetreten, was ich mir in der Zeit der Gefangenschaft so erhofft, aber nicht zu träumen gewagt hatte: dass meine Entführung den christlich-islamischen Dialog mehr vorangebracht hat, als es meine physische Gegenwart vorher geschafft hatte. 

 

11 22 Hajo LohrePATER HANS-JOACHIM "Hajo" LOHRE (66)

stammt aus Nordrhein-Westfalen. Er wurde 1985 zum Priester geweiht und reiste wenige Wochen später als Afrikamissionar/Weißer Vater nach Mali aus. Nach seiner Ausbildung zum Islamreferenten am Institut für islamisch-christliche Bildung (IFIC) in Bamako begann er dort eine Lehrtätigkeit. Er leitet das Zentrum Glaube und Begegnung und ist Generalsekretär der bischöflichen Kommission für interreligiösen Dialog und Ökumene in Mali.

Im November 2022 wurde er von Islamisten entführt und fast genau ein Jahr später freigelassen

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