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21. Juni 2023
Interview:   Christian Selbherr
Interview mit Eckart von Hirschhausen

"Gesunde Erde - gesunde Menschen!"

Wir müssen nicht das Klima retten, sondern uns selbst - davon ist Eckart von Hirschhausen überzeugt. Nach Jahren auf der Bühne hat er sich nun vorrangig dem Kampf gegen die Auswirkungen des Klimawandels verschrieben. Und er sieht dabei auch die Kirchen und Religionsgemeinschaften in der Verantwortung. Lesen Sie hier das Interview von missio-magazin-Redakteur Christian Selbherr mit dem Arzt und Wissenschaftsjournalisten.
21. Juni 2023
Text: Christian Selbherr   Dominik Butzmann/Charité Berlin

Sie haben Ihren Abschied von der Kabarettbühne angekündigt - warum ist Ihnen das Lachen vergangen?
Ich bin Jahrgang 1967, war schon lange vor dem Fernsehen und Buchschreiben als Bühnenkünstler unterwegs und habe über eine Million Menschen in Liveshows zum Lachen und Nachdenken bringen  dürfen. Das war toll, ich bin dankbar für alles, aber die Welt ist nicht mehr wie vor zehn Jahren – und ich auch nicht. Es ist schwer, die Welt ehrenamtlich zu retten, wenn andere sie hauptberuflich zerstören.  Die "dunkle Seite der Macht" ist bestens finanziert, bestens vernetzt und extrem mächtig als Lobby der fossilen Vergangenheit. Wer ist aber die Lobby für eine enkeltaugliche Zukunft?

Wenn Sie sich den Patienten Erde betrachten, wie lautet Ihre Diagnose?
Wir haben eine Jahrhundertaufgabe vor uns, für die wir weniger als zehn Jahre Zeit haben. Uns fehlt die Antenne, um die Dimension zu begreifen. Dafür brauchen wir die Wissenschaft. Deswegen habe ich  damals die "Scientists for Future" mitgegründet. Die Klimakrise wurde lange medial als etwas zeitlich und räumlich Distanziertes verhandelt. Es war irgendwie alles weit weg, es war Bangladesch, es war der  Eisbär. Was wissenschaftliche Publikationen mir klargemacht haben: Die Klimakrise ist die größte Gesundheitsgefahr. Und diese persönliche Note, dieser Bezug zu unser aller körperlicher und seelischer  Gesundheit hat für mich entscheidend in der Kommunikation gefehlt. Das ist der Puzzlestein, den ich nun beibringen kann.

Warum tun wir Menschen uns so schwer, die Realität anzuerkennen?
Wir können uns schwer Irreversibilität – also „für immer unumkehrbar“ vorstellen, weil wir lieber der Illusion verfallen, uns fällt noch was ein, so schlimm wird es schon nicht, oder wir kaufen uns da raus. Du kannst, wenn du reich bist, einen klimatisierten Bunker in Neuseeland kaufen. Aber keiner kann sich eine eigene Außentemperatur kaufen, noch nicht mal ein Privatpatient. Physik gilt weiter – auch wenn man es in der Schule abgewählt hat. Wenn du ein rohes Ei in warmes Wasser tust, da reichen 45 Grad, dann wird es hart und zwar irreversibel. Auch wenn das Wasser wieder abkühlt, wird das Ei nicht mehr weich. Aus einem gekochten Ei wird auch nie mehr ein Küken. Es gibt kein Zurück mehr. Die Chance auf Leben ist für immer vertan. 

Wo wurde Ihnen das Thema so schmerz haft bewusst?
Bei mir war das die Begegnung mit Jane Goodall, der Schimpansenforscherin. Mitten im Interview drehte sie die Rollen um, schaute mich an aus ihren weisen, alten und etwas melancholischen Augen, und stellte mir diese Frage: "Wenn wir Menschen ständig betonen, wir sind die intelligenteste Spezies auf diesem Planeten - warum zerstören wir dann unser eigenes Zuhause?" Da habe ich geschwiegen, geschluckt und verstanden: Das ist die zentrale Frage, der wir uns alle stellen müssen. Das ist die Überlebensfrage im 21. Jahrhundert.

Welche Therapie schlagen Sie vor?
Der beste Weg, die Zweifler und Bremser auszuhebeln, ist, das Positive zu zeigen, wo schon etwas geht. Weniger als 100 Prozent erneuerbare Energie in Deutschland ist eine Beleidigung der Intelligenz unserer Ingenieure – hat Herman Scheer gesagt. Ich sehe auch eine große Rolle der Kirchen, deshalb bin ich auch bei jedem Katholikentag und Evangelischen Kirchentag mit dabei. Jesus brauchte keinen SUV, um Menschen in der Stadt zu beeindrucken. Das Kamel kommt nicht durchs Nadelöhr, aber mit sehr wenig aus und macht dabei einen entspannten Eindruck. Glaube, Hoffnung und Liebe  wärmen das Herz immer noch mehr als jede Gasheizung. Wenn die Religion besser als "der Markt" weiß, was wir wirklich brauchen – gelingt es uns dann nicht mit ihrer Hilfe, real auch weniger zu "verbrauchen"?
Zweitens: Wir haben ein weltweites Netzwerk! Die Klimakrise ist so himmelschreiend ungerecht, weil diejenigen, die den Himmel am wenigsten verdreckt haben, heute am härtesten bereits getroffen sind. Die obersten zehn Prozent der weltweiten Kohlenstoffemittenten verursachen fast die Hälfte aller Treibhausgasemissionen. Neben dem offensichtlichen Gerechtigkeitsproblem ist der Hebel auch bei denen mit den meisten Emissionen am effektivsten. Also bei uns. 

Und drittens? 
Der Kern des Christentums ist die Nächstenliebe. Und so wie das Klima keine Grenzen kennt, könnten wir versuchen, das Verbindende zu betonen zwischen Glaubensrichtungen, Ländern und Mitgeschöpfen. Und unser Mitgefühl erweitern über Kirchengrenzen, über Landesgrenzen, über Generationen hinweg. Vielleicht brauchen wir ein neues Wort dafür. Mein Vorschlag: "Übernächstenliebe!" Das kann man  zeitlich und räumlich verstehen: Unser Nächster kann also auch 5000 Kilometer weit weg sein, oder 50 Jahre.

Wo sollten die Kirchen und Religionsgemeinschaften konkret mehr tun?
Warum hat nicht jede Kirche, jedes Gemeindehaus, jede Schule und jeder Kindergarten bereits heute in Deutschland ein Solardach? Der Denkmalschutz denkt endlich um, das ist also keine Ausrede mehr. Wann gibt es in allen konfessionellen Einrichtungen Essen nach der "planetary health diet" – gut für uns, und gut für die Erde? Während der Zeithorizont von Politikern oft nicht ausreicht, um auf den ersten Blick unpopuläre Entscheidungen voranzubringen, könnten es sich die Kirchen in der Gewissheit ihres Auftrags und ihres viele hundert Jahre währenden Bestehens leisten, jetzt in Vorleistung zu gehen.

Was können wir von älteren Generationen lernen?
Der nachhaltigste Mensch in meinem persönlichen Umfeld ist mein Vater. Er ist im Jahr 1935 geboren und hat mit weit über 80 Jahren bis heute weniger Ressourcen verbraucht als die Generation seiner Enkel in ihren ersten 20 Jahren. Er besitzt den "nachhaltigsten Turnschuh der Welt". Denn Nachhaltigkeit heißt nicht, noch mehr Konsum, mit irgendeinem Label drauf, sondern: "Nutze das, was du schon hast!" 

Warum sollten wir trotz allem nicht den Humor verlieren?
Als Arzt finde ich es immer überraschend, dass die Dinge, die dem Planeten guttun, auch uns selbst am meisten nutzen! Wer Rad fährt, statt im Stau zu stehen, tut sich selbst das Beste. Und wer mit einer guten pflanzlichen Ernährung merkt, mit wie wenig der Körper zufrieden ist, wenn man ihm Pausen gibt, um zu verdauen und aufzuräumen, lebt länger und leichter. Die Lösungen aus der Natur mit Pflanzen, Tieren, Mooren, Meeren und Wäldern sind unsere größten Verbündeten, wenn wir sie lassen. Als Elon Musk einmal twitterte: "100 Millionen für eine Erfindung, die CO2 binden kann" schrieb jemand zurück:  "Dürfen sich auch Bäume bewerben?" Das ist mein Humor. 

Mensch, Erde!Mensch Erde Hirschhausen

Einerseits leben wir gesünder und länger als jede Generation vor uns, gleichzeitig haben wir nur noch wenig Zeit, um die Welt für uns Menschen auch in Zukunft bewohnbar zu halten. Diesen Zusammenhang macht Eckart von Hirschhausen in seinem aktuellen Buch ebenso deutlich wie als Fernsehjournalist in ARD-Sendungen wie "Wissen vor acht". Neben klarer, wissenschaftlich untermauerter Analyse bietet er konkrete Auswege: weniger Konsum, bewusstere Ernährung, klimagerechtes Bauen. Aber am besten ohne pauschale Verbote, sondern mit Verstand und einer ordentlichen Prise Humor. Denn gesunde Menschen gibt es nur auf einer gesunden Erde. Mehr:

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