Abt Nikodemus, es gibt ein Zitat von Ihnen vom Sommer. Da sagen Sie: Jetzt ist die entscheidende Zeit für die Zukunft Israels. Haben Sie den Krieg kommen sehen?
Nein. Aber die Zuspitzung habe ich wahrgenommen.
Wo waren Sie am 7. Oktober, dem Tag, als die Hamas Israel überfiel?
Ich war in Rom und hatte nach dieser Nachricht keine ruhige Minute mehr. Die Rückreise war eine Odyssee. Ich konnte nach Jordanien fliegen und habe mir von dort auf dem Landweg einen Grenzübergang gesucht. Wir waren zwei, die nach Israel einreisen wollten. Auf der Gegenseite standen überfüllte Busse im Stau. Die Grenzbeamten fragten mich, ob ich noch bei Verstand sei. Aber ich wollte zu meinen Mitbrüdern und den Studierenden unseres Theologischen Studienjahrs Jerusalem, die bei uns untergebracht sind. Ich trage eine Verantwortung.
Wie ist die Situation in Jerusalem?
Alle paar Tage haben wir Raketenalarm, nicht allzu häufig. Dann gehen wir in unseren Luftschutzbunker. Diese Gefahr ist jedoch meine geringste Sorge. Die Abtei Dormitio ist stabil gebaut und steht auf dem Zionsberg, nur ein paar hundert Meter von der Al-Aqsa-Moschee und dem Felsendom entfernt. Für keine der Kriegsparteien ein Ort, den sie beschießen möchten. Aber die Atmosphäre in der Stadt ist verändert, beinahe vergiftet. Das Misstrauen wächst. Das schmerzt mich.
Schließlich haben Sie Freunde auf beiden Seiten, kennen Israel und auch Gaza gut.
Sowohl Israelis als auch Palästinenser haben ein Grundbedürfnis, das mehr als verständlich ist. Gerade bei den jüdischen Israelis gibt es eine große Sehnsucht nach Sicherheit. Bedingt durch die Geschichte ihrer Verfolgung, die ihren schrecklichen Tiefpunkt in der Shoah fand. Daraus resultiert der Wunsch, nie mehr ausgeliefert zu sein. Israel will ein sicherer Hafen sein für Juden weltweit. Die Palästinenser wiederum sehnen sich nach Freiheit und Selbstbestimmung, gemäß dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, für das auch der Papst einsteht. Aber sie sind ohne eigenen Staat und führen ein Leben hinter Mauern und Checkpoints. In diesem Spannungsfeld lebe ich als Christ seit 20 Jahren.
Der Druck hat aber vermutlich zugenommen?
Ehrlich gesagt, werde ich gerade von allen Seiten verbal angegriffen. Manche können meine Empathie für beide Seiten nicht ertragen. Das ist für Populisten schwer auszuhalten. Allerdings halten sich die Vorwürfe in Israel in Grenzen. Hassnachrichten bekomme ich eher aus Deutschland. Es sei keine Zeit für Grautöne, höre ich immer wieder. Aber für mich ist die Würde des Menschen unantastbar. Und das gilt nun einmal für alle.
Wie gehen Sie als Abt mit dem Vorwurf um, dass Religion diesen Krieg gesät habe?
Diese Behauptung ist Blödsinn. Es sind „Hooligans der Religion“, wie ich sie immer nenne, die diesen Krieg verantworten. Gläubige aller Konfessionen hingegen bringen in diesen Tagen Hoffnung. Ich bin mit Rabbinern und Imamen vernetzt, mit Verwandten im Geiste, denn wir alle folgen der abrahamitischen Religion. In dieser Nachfolge teilen wir die Ansicht, dass jeder Mensch ein Abbild Gottes ist und setzen auf Versöhnung.
Können Christen also auf irgendeine Weise vermitteln?
Nicht wirklich. Wenn wir als Christen in diesen Tagen zum Gebet für Frieden aufrufen, wird uns entgegengehalten, wir sollten lieber für den Sieg über das Böse beten, statt für den Frieden. Für manche sind „Frieden“ und „Versöhnung“ momentan regelrechte Reizworte. Wir halten unsere Kirche offen: Das wird sowohl von gläubigen als auch von nichtgläubigen Menschen sehr geschätzt. Wir Mönche sind sehr bewusst präsent! In unserer ebenfalls weiterhin geöffneten Cafeteria bekommt jeder ein warmes Getränk und ein offenes Ohr. Wir hören oft, besonders von den Einheimischen: Es tut uns gut, dass ihr Mönche da seid!
Ein eher seltenes Kompliment. Zuletzt hatten Sie ja immer wieder davon berichtet, dass sich die Lage für Christen in Israel verschärft hat.
Durch national-religiöse Extremisten. Der radikalste Flügel ist in Israel die sogenannte „Hügeljugend“, die „Hilltop Youth“, die der jüdische Schriftsteller Amoz Oz einst „hebräische Neonazis“ genannt hat.
Es gab Brandanschläge, Steine wurden geworfen, Sie selbst werden regelmäßig beschimpft und bespuckt.
Eine traurige Realität, wofür die in Teilen rechtsradikale israelische Regierung verantwortlich ist. Diese Regierung hat versagt. Sie hat Hass geschürt und gegen Minderheiten gehetzt, gegen Liberale, gegen Muslime, gegen Christen.
Daraus entstehen Szenen, wie kürzlich in der Altstadt. Ein Vorfall, der durch die sozialen Netzwerke ging.
Da habe ich den öffentlichen Platz vor der Westmauer, der „Klagemauer“ überquert. Ich wollte Bundesforschungsministerin Stark-Watzinger, die ich durch Jerusalem geführt hatte, zum Auto begleiten. Plötzlich wurde ich von einer Aufsicht der „Western Wall Heritage Foundation“ aufgefordert, mein Brustkreuz abzunehmen. Ich war aber nicht im Gebetsbereich – da bin ich sensibel genug. Ich habe die Aufforderung abgelehnt und bin gegangen. Wichtig ist zu wissen, dass diese Stiftung direkt dem Büro des Ministerpräsidenten untersteht. So etwas hat schon eine neue Qualität.
Woher kommt dieser Hass? Christen sind in Israel mit höchstens zwei Prozent doch eine sehr kleine Minderheit.
Diese Menschen lehnen ab, was nicht in ihr Weltbild passt. Und als Christen sind wir dankbare Opfer. Was passiert denn schon, wenn wir einen Brandanschlag auf ein Kloster erleiden? Wir rufen keinen Tag des Zorns aus, wir gehen höchstens an die Presse.
Kann der Kreislauf aus Hass und Vergeltung in Israel eines Tages ein Ende finden?
Er muss. Viel zu viele Menschen in der Region haben zu viel zu verlieren. Aber leider gibt es auch genügend Profiteure: Iran, Russland, auch China. Und der Westen ist sich uneinig. Aber die politische Analyse ist nicht mein Fachgebiet.
Dabei haben Sie doch eine Zeit lang das Auswärtige Amt in Berlin zu „Religion und Außenpolitik“ beraten …
Das stimmt. Ich lese auch in diesen Tagen die Militärberichte und bin gut informiert. Aber in erster Linie bin ich Mönch und bete. Das wird in diesen Zeiten mehr gebraucht.
Was tun Sie für die Menschen vor Ort?
Es ist die Stunde der Seelsorge für die Nächsten. Wir sind da und wir bieten uns aktiv an. Ich lade immer wieder ein: Wem es guttut, der soll zu uns kommen! Wir haben Platz in der Dormitio. Wir fragen nicht, ob jemand Christ, Jude, Muslim oder Atheist ist. Wir fragen nicht nach Pass oder Aufenthaltserlaubnis. In unserem Kloster in Tabgha am See Genezareth ist gerade bis auf Weiteres eine Gruppe jüdischer Behinderter mit ihren Betreuern einquartiert, die in ihrer Heimatstadt Be’er Scheva im Süden in Gefahr waren. Jetzt können sie ein bisschen aufatmen. Vor Kurzem haben wir in Dormitio ein 24-stündiges Gebet abgehalten. Wir haben Psalmen rezitiert, was alle Konfessionen verbindet. Auch Juden haben mitgebetet. Gerade Religion kann in einer solchen Zeit starke Zeichen setzen.