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16. Mai 2023
Interview:   SANDRA TJONG
Interview zum Südsudan

"Es geht um Einfluss und Macht der Ethnien"

Auch nach der Unabhängigkeit Südsudans dauern bewaffnete Konflikte zwischen den Volksgruppen an. Ein Drittel der Bevölkerung hat die Heimat verloren. Der Comboni-Missionar Pater Gregor Schmidt lebt seit 14 Jahren im Südsudan. Ein Gespräch über die nicht endende Gewalt und ihre Gründe. 
16. Mai 2023
Text: SANDRA TJONG   Combonis/Ellwangen

Comboni-Pater Gregor Schmidt Präsident Salva Kiir hat Papst Franziskus bei seinem Besuch im Februar zugesagt, die Friedensgespräche wiederaufzunehmen – das Abkommen von 2018 war ja nie richtig umgesetzt worden. Wie bewerten Sie das?

Egal, wer sich zu Friedensgesprächen trifft, die Konflikte vor Ort gehen davon oft unberührt weiter. Außenstehende denken, der Präsident habe maßgeblich Einfluss darauf, ob es Frieden gibt oder nicht. Aber selbst wenn er echtes Interesse an Frieden hätte, was ich bezweifle, könnte er ihn nicht umsetzen. Dazu fehlt ihm ein funktionierender Staatsapparat. Außerdem würde er sofort von seinen eigenen Leuten – der Volksgruppe der Dinka – abgesetzt.

Warum?

Bei den Konflikten im Südsudan geht es um Einfluss und Macht der Ethnien. Regierende dienen den Interessen ihrer Volksgruppe, die sie nach oben gebracht hat. Clan-Identität und ethnische Zugehörigkeit sind immer noch die beiden Grundbausteine der Gesellschaft, so wie früher, als Clans und Stämme überlebten, indem sie innerhalb ihrer Gruppe loyal und anderen gegenüber feindlich waren.

Wie wirkt sich das im aktuellen Konflikt aus?

Die Dinka zum Beispiel, die größte Volksgruppe, haben in den vergangenen Jahren systematisch kleinere Völker über die Grenze nach Uganda vertrieben. Sie ziehen bewusst mit ihren Rindern in deren Gebiete. In Zentral-Äquatoria errichteten sie in den vergangenen 15 Jahren 200 Rinderlager. Das ist kein Warlord, der das anordnet, das machen einfache Hirten.

Welche Rolle spielen Dürre und Platznot?

Klimatische Gründe verschärfen die Situation. Es gehört aber auch zur Strategie, sich auszubreiten. Hinzu kommt, dass die meisten Südsudanesen Hirten sind, die nach dem Vergeltungsprinzip „Wie du mir, so ich dir“ handeln. Dies führte nach der Unabhängigkeit zum Bürgerkrieg und dazu, dass es immer wieder zu Gewalt kommt.

Vor dem Papstbesuch kam es in Zentral-Äquatoria zu einem Vergeltungsmassaker. Und zwischen den Nuer und Shilluk am Oberen Nil herrscht Krieg. Fangak County, wo Sie zuletzt elf Jahre bei den Nuer lebten und arbeiteten, ist auch davon betroffen.

Hier geht es um alte Konflikte, die immer wieder aufbrechen. Jede Seite erinnert sich daran, dass sie der anderen noch etwas zurückzahlen muss. Geschätzt mussten in der Region seit August 100 000 Menschen fliehen.

Die Menschen im Südsudan sind großenteils Christen. Wieso fruchtet der Friedensappell des Papstes und anderer christlicher Führer nicht?

Die Religionszugehörigkeit spielt bei diesen Konflikten keine Rolle. Die meisten Menschen betrachten ihr Verhalten als Selbstverteidigung. Sie verteidigen ihren Grund, ihre Belange. Sie sind auch Gefangene ihrer eigenen Kultur, weil sie nicht zulassen, dass die eigenen Leute mit anderen Ethnien teilen. Das wird sich so schnell nicht ändern.

„ES IST EIN CHRISTLICHES MANDAT, HOFFNUNG ZU BRINGEN, WO ES NACH MENSCHLICHEM ERMESSEN KEINE GIBT.“

Angesichts der Hoffnungslosigkeit, die Sie schildern: Was hält Sie im Südsudan?

Mein Leben im Südsudan ist durch zwischenmenschliche Beziehungen, die ich geknüpft habe, wertvoll. Anfangs war ich Gast, dann bin ich Freund geworden. Auf einer Fläche, die achtmal so groß wie Berlin ist, betreuen wir Missionare die Menschen und 80 Kapellen der Pfarrei. Die Region wird regelmäßig vom Nil überflutet, weshalb keine Straßen gebaut wurden. Wie die lokale Bevölkerung wandern auch die Missionare zu Fuß oder paddeln mit einem Kanu. Dieses „Miteinanderunterwegssein” schweißt zusammen. Nuer sind unglaublich gastfreundlich. Der wichtigste Grund aber, in einem „hoffnungslosen Land“ zu bleiben, ist das Vorbild Jesu, der sich der menschlichen Erbärmlichkeit in Liebe angenommen hat. Es ist ein christliches Mandat, dort Hoffnung zu bringen, wo es nach menschlichem Ermessen keine gibt. Durch die Verkündigung des Evangeliums wirke ich am Aufbau einer gewaltlosen, christlichen Gemeinschaft mit.

Wie zeigt sich das in der pastoralen Arbeit?

Wer seine Konflikte mit Gewalt löst, kann nicht Gemeindeleiter werden. Das ist eine Umkehrung bisheriger Werte, denn bei den Nuer bestehen Stärke und Achtung darin, dass man ein Kämpfer ist und sich wehrt. Wir folgen dem Vorbild Jesu auch in Bezug auf Feindesliebe. Nicht allen gefällt das, aber es gibt inzwischen überall Menschen, die nach dem Evangelium leben, bei den Nuer genauso wie bei den Dinka und Shilluk.

Dann bewirkt die Kirche doch etwas.

 Ja, in lokalen Gemeinschaften. Es gibt Brückenbauer. Bei der Beerdigung eines ermordeten Jugendlichen hat ein Vater gesagt, dass er nicht möchte, dass der Tod seines Sohns gerächt wird. Die Gewalt soll aufhören. Solche Beispiele geben Hoffnung, dass sich längerfristig etwas ändert.

Wie bewerten Sie die Rolle der internationalen Gemeinschaft im Südsudan?

Die UN-Präsenz zwingt die verschiedenen Parteien, über Friedensgespräche nachzudenken. Allerdings können die UN-Soldaten nicht eingreifen, sondern nur beobachten. Und auch das nur, wenn es die Regierung genehmigt. Ein anderer Aspekt sind die Geldflüsse der internationalen Gemeinschaft. Damit wird viel Gutes getan, sehr viel Geld fließt aber auch in die Taschen der politischen Elite. Das ist ein Geschäftsmodell. Für sie ist dieser Zwischenzustand – kein richtiger Krieg und kein richtiger Frieden – das Beste, denn bei Frieden würden die Geldquellen größtenteils versiegen. Die internationale Gemeinschaft lässt sich an der Nase herumführen.

Dann wäre es besser, die Hilfe einzustellen?

Es ist zwiespältig. Geld macht korrupt und träge. Zentrale Bereiche, wie Bildung und Gesundheitswesen, sind durch „Outsourcing“ an die internationale Gemeinschaft abgegeben worden. Die Regierung lernt nicht, für das eigene Land einzustehen und etwas aufzubauen. Sich gänzlich zurückzuziehen brächte das Land allerdings noch weniger voran. Es entstünde die Gefahr eines Völkermordes.

Wie bewerten Sie die Hilfe auf kirchlicher Ebene?

Besser, weil wir die Kontrolle darüber haben, was mit dem Geld geschieht. Es fängt beim Umtauschkurs an. Internationale Organisationen erhalten bei der Zentralbank einen extrem schlechten Umrechnungskurs. Wir Ordensgemeinschaften tauschen den Dollar zum Vollwert um und können mit der Lokalwährung wesentlich mehr machen. Des Weiteren sind wir Idealisten, bekommen kein Gehalt und wohnen günstig, anders als es bei Organisationen der Fall ist. Man kann natürlich sagen, auch kirchliches Engagement stützt indirekt das passive Verhalten der Regierung. Allerdings haben uns die Nuer in Fangak County eingeladen. Sie fühlen sich von der Regierung im Stich gelassen. Die Menschen im County sind zu mehr als 95 Prozent Analphabeten. Sie freuen sich über die Grund- und die Oberschule, die wir aufgebaut haben. Sie wissen, dass sie auf absehbare Zeit keine funktionierende Schule von der Regierung bekommen werden.

ZUR PERSON

Pater Gregor Schmidt ist in Berlin geboren. Er kam während seines Zivildienstes in Peru mit den Comboni-Missionaren in Kontakt, denen er später beitrat. Seine Stationen waren Innsbruck, Venegono Superiore in Italien und Nairobi, bevor er 2009 in den Südsudan kam. Dort lebte er drei Jahre bei den Mundari und elf Jahre bei den Nuer. Seit Jahresbeginn kümmert er sich als Provinzial von der Hauptstadt Juba aus um die Belange von neun Comboni-Gemeinschaften, die zur südsudanesischen Provinz gehören. 

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