Eva Küblbeck. © H. Bredehorst/KOK e.V.Frau Küblbeck, wer sucht Hilfe bei den Fachberatungsstellen des Bundesweiten Koordinierungskreis gegen Menschenhandel, kurz KOK?
Menschenhandel kann sehr viele Gesichter haben. Dazu gehört neben sexueller Ausbeutung auch die Ausbeutung der Arbeitskraft, etwa im Pflegebereich oder der Landwirtschaft. Inzwischen werden zunehmend Fälle bekannt, in denen Menschen zum Betteln oder dem Begehen von Straftaten, wie Ladendiebstahl, gezwungen werden. Wer in die Beratungsstellen kommt, hängt auch von deren Angebot ab. Fast immer sind es Frauen, viele kommen aus Westafrika. Manche werden erst in Deutschland ausgebeutet, andere bereits auf dem Weg. Außerdem kommen viele Betroffene aus Osteuropa, einige auch aus Deutschland.
Wo überall sitzen die Täterinnen und Täter?
Auch das ist ganz unterschiedlich, es gibt sowohl große internationale Netzwerke als auch zahlreiche kleinere Organisationen oder Einzeltäter. Aus Nigeria stammende Betroffene werden häufig in Europa von sogenannten Madames zur Prostitution gezwungen, nachdem ihre Reise von anderen Kriminellen des Netzwerks organisiert wurde. Es gibt aber auch Fälle, in denen die Ausbeutung von Familie oder Bekannten ausgeht. Oder die sogenannte Loverboy-Methode, bei der Zuhälter ein Liebesverhältnis vorspiegeln und so gerade jüngere Frauen emotional sehr stark abhängig machen. Im Pflegebereich sind dagegen auch Vermittlungsagenturen im Spiel.
Wie hoch ist die Dunkelziffer von Vergehen?
Es ist von sehr hohen Zahlen auszugehen. Nicht nur in den Herkunftsländern von Betroffenen und auf dem Weg, sondern auch in Deutschland selbst findet vermutlich sehr viel mehr Ausbeutung statt als unseren Fachberatungsstellen oder Polizei und Behörden bekannt wird. Interessant ist auch, dass die Zahlen des BKA zu Betroffenen und der Art der Ausbeutung in den abgeschlossenen Ermittlungsverfahren nicht unbedingt mit unseren übereinstimmen. Das könnte vielleicht darauf hinweisen, wer durch Razzien entdeckt wird oder zur Polizei geht, um Anzeige zu erstatten – und wer nicht. Gegenüber dem niedrigschwelligen Kontakt zur Beratungsstelle ist die Hürde, zur Polizei zu gehen, wesentlich höher.
Warum?
Da es sich um eine schwere Straftat handelt, müssen Polizei und Staatsanwaltschaft bei Verdacht auf Menschenhandel Ermittlungen aufnehmen und eine Strafanzeige kann nicht zurückgenommen werden. Das bedeutet, die Betroffenen müssen sich dem Strafverfahren und allem, was damit verbunden ist, auf jeden Fall stellen. Zum Beispiel, dass die Täter erfahren, woher die Hinweise kommen. Und dass keine Gewähr besteht, dass diese verurteilt werden.
Wie wahrscheinlich ist das?
Nicht selten stellt die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen mangels ausreichender Beweise wieder ein oder die Aussagen der Betroffenen werden nicht als notwendig oder für das Verfahren hilfreich erachtet und sie erhalten keinen Aufenthaltstitel. Besonders dann, wenn die Betroffenen keine genauen Angaben zu den Namen der Täter oder dem Ort der Ausbeutung machen können. Man muss ehrlicherweise sagen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass der Täter oder die Täterin auf eine Strafanzeige hin letztendlich verurteilt wird, wirklich sehr gering ist. Da stellt sich für Betroffene die Frage, ob sie sich dem Risiko und der hohen psychischen Belastung eines Verfahrens aussetzen möchten.
Und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte?
Individualklagen vor dem EGMR sind Ausnahmefälle und nur als ultima ratio zu sehen, wenn die nationale Ebene dabei versagt hat, den Betroffenen ihre Rechte zu gewähren.
Welche Rechte haben Betroffene von Menschenhandel?
Eines der grundlegendsten Opferrechte ist das Recht auf Identifizierung. Wenn beispielsweise jemand zum Diebstahl gezwungen wird, muss das erkannt werden. Sonst wird man diese Person verurteilen – anstatt derer, die dahinterstecken und Profit damit machen. Es ist wichtig, dass alle, die mit Betroffenen zu tun haben, dafür sensibilisiert sind. Zu den Opferrechten gehört nämlich auch das Recht auf Absehen von Strafe für Betroffene von Menschenhandel, das sogenannte „Non-Punishment“. Außerdem muss man die Rechte auf Unterstützung, Beratung und Unterbringung hervorheben. Sie sind wichtig, damit sich Betroffene stabilisieren und erholen können.
Wie sieht das konkret aus?
Wer ausgebeutet und physisch und/oder psychisch misshandelt wurde – teilweise über einen langen Zeitraum – ist meist traumatisiert und in schlechtem Gesundheitszustand. Betroffene brauchen Zeit, sich ein Stück weit zu erholen und zur Ruhe zu kommen, um überhaupt weitere Entscheidungen treffen zu können. Für diese Stabilisierungsphase gibt es die Möglichkeit eines kurzfristigen Aufenthalts, währenddessen die Betroffenen auch Leistungen zum Lebensunterhalt bekommen. Weiterführende Opferrechte betreffen dann einen längeren Aufenthaltstitel bei Beteiligung als Zeugen oder Zeugin in einem Strafverfahren oder das Recht, dort als Nebenkläger aufzutreten, sowie Rechte auf Entschädigung oder entgangenen Lohn. All diese Dinge sind aber schwieriger durchzusetzen.
Was sind die ersten Schritte der Beratungsstellen?
Das hängt sehr vom Einzelfall ab. Die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter versuchen die Betroffenen mit dem Nötigsten, bei Bedarf auch mit medizinischer Hilfe, zu versorgen und zu schützen, falls sie in Gefahr sind – durch besonders sichere Unterkünfte und gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit der Polizei. Ansonsten geht es als erstes um ganz Grundsätzliches, denn viele Betroffene, die von den Tätern in Wohnungen oder als Arbeitskräfte im Bereich der häuslichen Pflege in Privathäusern untergebracht waren, brauchen dringend eine Unterkunft. Manche stecken aber auch noch in der Ausbeutungssituation und lassen sich erst einmal nur über mögliche Auswege beraten – nicht immer gehen sie diesen Weg dann auch. Andere befreien sich, möchten dann aber einfach nur zurück in ihr Heimatland. Auch hier helfen die Beratungsstellen, der Fokus liegt auf der bestmöglichen individuellen Versorgung.
Was wünschen Sie sich für Betroffene von Menschhandel?
Die Regelung, dass Aufenthaltsgenehmigungen von Betroffenen an das Strafverfahren gekoppelt sind, ist problematisch. Der aktuelle Koalitionsvertrag enthält ein vom Strafverfahren unabhängiges Aufenthaltsrecht, und wir hoffen, dass das realisiert wird. Auch die Regelung zum „Non-Punishment“ wird in Deutschland noch nicht gut umgesetzt. Grundsätzlich bräuchte es eine flächendeckendere Sensibilisierung bei den vielen Personen, die an verschiedensten Stellen mit Betroffenen zu tun haben – sei es in Asylverfahren, bei Ordnungsämtern oder der Polizei. Hier sehe ich schon positive Entwicklungen, es gibt zum Beispiel mittlerweile Opferschutzbeauftragte bei Bundespolizei und Zoll. Ähnliches gilt für die Wahrnehmung von Menschenhandel, die sich aber ebenfalls noch weiter verändern muss: Wir brauchen einen geschärften Blick, um individuelle Lösungen für die vielen verschiedenen Facetten zu finden. Ein weiterer Ausbau der Unterstützungsstrukturen zur Beratung und Unterbringung Betroffener ist unbedingt nötig.