Pabitra Guragain: "Ich bin wie eine Sklavin behandelt worden."ALS DIE FREMDE FRAU im Dorf auftaucht und von den guten Jobs fern der Heimat schwärmt, entschließt sich Pabitra Guragain fortzugehen. Das Geld für die Vermittlungsgebühr für die lokale Agentin inklusive Visum und Flug von umgerechnet knapp 770 Euro leiht sie sich von Nachbarn. Ihre kleine Tochter Karuna gibt sie in die Obhut ihrer Schwester. Versprochen ist der jungen Frau eine Arbeit als Reinigungskraft in Katar mit einem Monatsverdienst von 700 Riyal – etwa 190 Euro, deutlich mehr, als sie ohne Schulabschluss jemals in Nepal verdienen kann. Doch das vermeintlich bessere Leben, von dem ihr die Agentin so vorgeschwärmt hat, wird für Pabitra zu einem jahrelangen Albtraum. „Ich kam als Haushaltshilfe zu einer Familie nach Doha und mir wurde als erstes der Pass abgenommen“, erinnert sich Pabitra. Es fällt ihr schwer, über das Erlebte zu sprechen. Nervös knetet sie ihre Hände, immer wieder kommen ihr die Tränen. „Ich bin dort zwei Jahre lang wie eine Sklavin behandelt worden“, sagt sie leise und erzählt von Demütigungen, Handgreiflichkeiten und mehrfacher versuchter Vergewaltigung. Von dem versprochenen Monatslohn wird ihr nicht einmal die Hälfte ausbezahlt.
Zurückgelassene Familien
14 Jahre ist ihr Entschluss jetzt her, ihr Dorf im südöstlichen Nepal im Distrikt Jhapa zu verlassen. Ihr Ehemann war damals als Wanderarbeiter nach Indien gegangen. Pabitras Zeit in Katar folgen mehrere Jahre als Fabrikarbeiterin in Malaysia – wieder vermittelt durch eine fragwürdige Agentur, wieder finanziert durch geliehenes Geld. Wie oft sie ihre Tochter in der Zeit gesehen hat? Pabitra zuckt mit den Schultern: "Vielleicht drei, vier Mal". Nach einer Blinddarm-Operation in Malaysia, für die sie sich erneut umgerechnet knapp 800 Euro von Bekannten leihen muss, kehrt sie endgültig nach Nepal zurück. "In all den Jahren, die wir weg waren, haben wir gerade einmal unsere Schulden abbezahlen können. Gespart haben wir nichts", sagt Pabitra bitter. "Immerhin sind wir jetzt wieder alle zusammen." Stolz nimmt die heute 41-Jährige ihre mittlerweile 16 Jahre alte Tochter Karuna in den einen und die kleine Tochter Kavya in den anderen Arm.
Halt gegeben hat Pabitra nach ihrer Rückkehr die Caritas Nepal. Im hiesigen Regionalbüro in der Stadt Damak haben die missio-Partner das "Projekt zur Förderung sicherer Migration und Vorbeugung von Menschenhandel" ins Leben gerufen. Die Caritas will hier mit einem elfköpfigen Team im direkten Grenzgebiet zu den indischen Bundesstaaten Westbengalen und Bihar die kriminellen Netzwerke bekämpfen, die Menschen auf ihre Arbeitsaufenthalte im Ausland vorbereiten und den Rückkehrenden durch Qualifizierung und medizinische Unterstützung eine Zukunft ermöglichen.
Mit eigenen Erfahrungen helfen
Minu Hasda pflegt ihren gelähmten Mann Durga.Drei Jahre lang war Pabitra für das Projekt als eine von sieben sogenannten Volunteers im Einsatz. Die Freiwilligen sind einstige Arbeitsmigrantinnen und -migranten, die regelmäßig zu den Familien in die Dörfer gehen, über ihre eigenen Erfahrungen berichten, aufklären über falsche Versprechungen und körperliche Ausbeutung, Alternativen aufzeigen und Hilfe vermitteln. Sie treffen auf Menschen wie Durga Hasda, der seit einem schweren Arbeitsunfall in Dubai von den Hüften abwärts gelähmt ist und von seiner Ehefrau Minu gepflegt wird, oder Binu Mardi, dessen Frau sich regelmäßig per Mobiltelefon aus Saudi-Arabien meldet und weinend davon berichtet, dass sie vom dortigen Familienvater geschlagen und von der Hausherrin mit heißem Seifenwasser verbrüht wird.
Sie vermitteln Starthilfen an junge Rückkehrer wie Chandra Chondhany, der bei einer Schlägerei in Malaysia so schwer verletzt wurde, dass sein linker Unterschenkel amputiert werden musste. Jetzt hat er mit Hilfe der Caritas eine Motorrad-Rikscha finanziert und ein kleines Transportunternehmen gegründet. Oder Shyam Ganesh, dem wegen einer komplizierten Wirbelsäulenverletzung der Hilfskellnerjob in Doha vorzeitig gekündigt wurde und der jetzt versucht, mit einem kleinen Lebensmittelladen Fuß zu fassen. Ihre Schicksale ähneln sich in den immer gleichen Details: nicht ausbezahlte Löhne, massenhafte Überstunden, abgenommene Pässe, verdreckte Massenunterkünfte, Gewalt und Einsamkeit.
Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Caritas ist klar, dass sie die Abwanderung trotz all dieser Erfahrungen nicht stoppen können. "Den Leuten zu sagen, sie sollen nicht ins Ausland gehen und lieber in ihren Dörfern bleiben, das wäre an der Realität vorbei", sagt Devendra Pokhrel. Der 46-Jährige ist Regionalleiter bei der Caritas Damak und versucht mit seinem Team und den Volunteers die Bedingungen rund um die Arbeitsmigration zu verbessern.
Menschenschmuggel am Grenzübergang
Die Menschen in der Region Damak leben hauptsächlich von Reis- und Teeanbau, größere Unternehmen oder Fabriken gibt es – wie überall im Land – kaum. "Sich in anderen Ländern Arbeit zu suchen, ist das gute Recht der Menschen hier und in ihrer Situation äußerst verständlich", betont Pokhrel. Er fährt regelmäßig die etwa 50 Kilometer von Damak an den Grenzübergang Kakarvitta, um sich mit der dortigen Grenzpolizei auszutauschen. Hunderte Motorradrikschas und Kleinbusse transportieren hier täglich die Menschen zwischen den beiden Ländern hin und her, es herrscht ein reger Austausch an Waren und Dienstleistungen. Seitdem die Regierung vor einigen Jahren Reisen in die Golfstaaten vor allem für junge Frauen strikt eingeschränkt und die Kontrollen an den Flughäfen verschärft hat, um damit etwas gegen die Ausbeutung als Haushaltshilfen zu unternehmen, boomt der Menschenhandel an den Grenzübergängen. "Der Landweg ist ideal, um nepalesische Frauen zuerst nach Indien und von den dortigen Flughäfen in die Golfregion zu schmuggeln", erzählt Sunil Dahal, der verantwortliche Grenzpolizist in Kakarvitta. "Da es den Menschen natürlich nicht verboten ist, die Grenze zu passieren, ist es für uns sehr schwer, Menschenhändler aufzuhalten."
Caritas-Regionalleiter Devendra Pokhrel (links) und sein Team arbeiten eng mit Grenzpolizei, lokalen Behörden und anderen Hilfsorganisationen zusammen.
Wirtschaft von Arbeitsmigration abhängig
Den Angaben Dahals zufolge geben viele von ihnen an, sie würden mit ihren Schwestern oder Nichten die Familie in Indien besuchen oder sich zur medizinischen Behandlung in ein grenznahes Krankenhaus begeben. "Das Problem ist, dass von der Regierung immer noch viel zu wenig gegen die kriminellen Netzwerke getan wird", schimpft Dahal. Devendra Pokhrel nickt vorsichtig: "Nepals Wirtschaft ist davon abhängig, dass die Einwohner im Ausland arbeiten. Eine steigende Zahl von Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten bedeutet auch einen Anstieg der Geldüberweisungen nach Nepal. Und im Land selbst gibt es nicht genügend Arbeitsplätze", stimmt der Caritas-Mitarbeiter dem Polizisten zu.
Wenig später, eine gute Stunde Autofahrt entfernt, trifft Devendra Pokhrel den Bürgermeister von Jhapa: Jay Naragan Shah. Allein aus seinem Bezirk würden aktuell 4600 Frauen und Männer im Ausland arbeiten – etwa jeder zehnte Bewohner. "Mein Ziel ist es, dass die Menschen im Land bleiben und hier eine Existenz gründen“, sagt der Bürgermeister. Seine Gemeinde habe daher Kreditprogramme für 120 junge Rückkehrer geschaffen. 80 000 Rupien, umgerechnet rund 600 Euro, gebe es pro Person, damit sie eine Viehzucht starten oder ein kleines Geschäft aufbauen könnten. „Wir setzen dabei auf die Zusammenarbeit mit der Caritas, die Leute betreut und reintegriert“, sagt Shah. Auf dem Nachhauseweg ins Caritasbüro nach Damak ist Devendra Pokhrel nachdenklich. Die vielen kleinen menschlichen Tragödien, die er hier miterlebt, gehen ihm nahe. „Durch die hohen Schulden geraten die Menschen in einen Teufelskreis, dem sie kaum entkommen können“, sagt er und hofft inständig, dass es Menschen wie Pabitra, Chandra oder Shyam schaffen werden.
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