Verschnaufpause: Im Schutzhaus sind Vero James und Tochter Marta in Sicherheit.IHRE FLUCHT hat Vero James genau geplant. Am frühen Morgen packt sie ein paar Kleider in eine Plastiktüte, nimmt Erdnüsse aus dem Garten und ihre kleine Tochter Marta an die Hand. Auf dem Markt der nahegelegenen Mine verkauft sie die Nüsse. Für das Geld nimmt ein Fischer die beiden mit in die nächstgrößere Stadt Madang. Von dort aus geht es zu Fuß weiter, bis nach Alexishafen. Bis vor ein großes, vergittertes Tor. Dahinter ein Ort, den Vero nur aus Erzählungen der Frauen aus der Kirchengemeinde kennt.
Seit wenigen Tagen lebt die 36-Jährige nun auf der anderen Seite des Tores. Seitdem kann sie wieder frei atmen und ruhig schlafen. Vero James und ihre Tochter Marta wurden mit dem Tod bedroht, vom eigenen Ehemann und Vater. Ein Schicksal, das täglich unzählige Frauen rund um die Welt teilen. Doch in Papua-Neuguinea erfahren laut Angaben der UN mit 67 Prozent überdurchschnittlich viele von ihnen regelmäßig Gewalt. Die Gründe dafür liegen nicht nur in einer von Männern dominierten Gesellschaft.
Es ist eine toxische Mischung, die die Familien im drittgrößten Inselstaat der Erde unter Druck setzt, seit vor gut 100 Jahren erste Einflüsse von außen das bestehende soziale Gefüge ins Wanken gebracht haben. Innerhalb weniger Jahrzehnte wurden ganze Ethnien in die Moderne geworfen. Rollen haben sich verändert, Aufgaben ihre Bestimmung verloren – besonders für Männer und besonders auf dem Land, wo zwei Drittel der rund fünf Millionen Frauen in oft schwer zugänglichen Tälern und abgelegenen Dörfern leben. Die meisten dieser Frauen heiraten früh und bestreiten einen entbehrungsreichen Alltag. Sie haben kaum Zugang zu Bildung, kämpfen als Ernährerinnen ihrer Familien mit den Folgen des Klimawandels, werden diskriminiert, der Hexerei beschuldigt oder geschlagen. 2013 hat die Regierung von Papua-Neuguinea häusliche Gewalt unter Strafe gestellt. Doch wo keine Straße, nur wenig Polizei und Bestechung an der Tagesordnung ist, ist Kontrolle unmöglich.
Für Frauenrechte und den Schutz von Familien und Kindern
Schwester Thecla Gamog: Unsere Regierung tut nichts. Also tun wir es.„Unsere Regierung tut nichts für diese Frauen. Also tun wir es“, sagt Thecla Gamog. Die Ordensschwester leitet das „Centre of Hope“ in Alexishafen an der Küste der Bismarck-See. Ein Schutzhaus der katholischen Kirche für Frauen. Es ist eines von landesweit fünf. Allen steht sie als Präsidentin vor. Es ist ein kleines Team aus Schwestern und einer Handvoll externer Mitarbeiter, die das Haus am Laufen halten. Draußen in den Dörfern unterstützt ein Netzwerk aus einst betroffenen sowie ehrenamtlich tätigen Frauen und Männern den Einsatz für Frauenrechte und den Schutz von Familien und Kindern.
Gerade lädt Sister Thecla mit einer Mitschwester die Pritsche des in die Jahre gekommenen Pick-ups ab: frisches Gemüse, Papaya, Ananas und Kokosnüsse. Ein Dankeschön aus einem Dorf, in dessen Gemeinschaft die Ordensfrau kürzlich vermittelte. Die 55-Jährige ist in weiten Teilen der Provinz bekannt, auch für ihre zupackende Art. Sie wird respektiert – gerade von den Männern. Die Gaben kann die Ordensschwester gut gebrauchen. Geld ist knapp in diesem Aufgabenfeld der Kirche, in dem noch vieles auf den Weg gebracht werden soll und weitere „Safe Houses“ geplant sind. Schnell noch hinters Wohnhaus der Schwestern, wo sich ein Garten und ein Süßwasserbecken befindet. Es war Schwester Theclas Idee, mit einer kleinen Fischzucht zusätzliches Einkommen fürs Schutzhaus zu erwirtschaften.
Die Schutzhäuser sind mehr als eine Zuflucht
Auch Neuankömmling Vero James packt mit an, froh über ein wenig Zerstreuung. Gerade fertigt sie an einer Nähmaschine Kinderkleidung für den Verkauf. So kann sie auch für sich ein wenig Geld zur Seite legen. Einen bunten Rock darf die zweijährige Marta behalten und freut sich lautstark. Ein Lächeln huscht über die Gesichter im Raum. Neben all den Zukunftssorgen kämpft Vero mit einem Malariaschub. Marta leidet an einer Hautinfektion. Später ruhen sich beide in ihrem Zimmer aus, auf einer Decke am Boden. Auf einer Matratze zu schlafen, sind sie nicht gewohnt. Vero erzählt ihre Geschichte, Schwester Thecla hört aufmerksam zu. Sie spricht von Konflikten, die zwischen ihrem Mann und Nachbarn entbrannten, von Rache. Einer alten Tradition folgend, fand sich Veros Mann immer häufiger zu Sitzungen im Männerhaus des Dorfes ein, einem sakralen Ort. Dort ersuchte er um Macht, um den Streit für sich zu entscheiden. Doch Macht braucht Energie und damit Opfer. „Der Bruder meines Mannes warnte mich“, erzählt Vero mit matter Stimme. „Er sagte: Ich solle lieber fliehen, denn mein Mann würde bald mich und Marta töten.“
Franky Duadak: Ich benutzte Stöcke. Ich habe alle sehr verletzt."Für betroffene Frauen wie Vero James ist Schwester Thecla mit ihrem Team mehr als eine Zuflucht. Es geht auch darum, nächste Schritte anzustoßen. Dabei setzt die Ordensschwester auf Mediation – und eine mögliche Versöhnung. Denn als gebürtige Papua weiß sie nur zu gut: In einer Gesellschaft, in der der Einzelne durch das „Wantok“-System (von englisch „one talk“ für „eine Sprache“) fest an einen Clan gebunden ist, lebt es sich immer besser in Gemeinschaft.
Hausbesuch bei betroffenen Familien
Wie in Malmal, einem kleinen Dorf an der Küste. Stoisch navigiert Fahrer David den Pick-up um die tiefen Schlaglöcher herum bis zu einer Lichtung. Hier leben Maggy und Franky Duadak mit ihren fünf Kindern. Sister Thecla schaut regelmäßig bei der Familie vorbei. Über Jahre hinweg trank Franky zu viel selbstgebrauten Alkohol. Täglich schlug er seine Frau. „Ich benutzte Messer und Stöcke“, erinnert sich der 53-Jährige nachdenklich. „Ich habe auch die Kinder geschlagen, mit einer Peitsche. Ich habe alle sehr verletzt.“
Bis zu einem Tag im Jahr 2016. „An diesem Tag hätte ich Maggy fast umgebracht“, gesteht Franky. Maggy überlebte den Schädelbruch. Von der Gesundheitsstation ging sie direkt zum Schutzhaus. Schwester Thecla begleitete das Paar über einen langen Zeitraum hinweg. Sie bewahrte Franky vor dem Gefängnis und brachte die Aussöhnung mit Maggy und der Familie auf den Weg. Als Symbol für den Neustart pflanzten beide mit Schwester Thecla als Zeugin einen Baum.
Heute hat Franky Duadak mit Hilfe der Kirche seine Rolle gefunden, nicht nur als Ehemann. Er züchtet Schweine und hat einen Laden eröffnet, um die Schulgebühren für die Kinder bezahlen zu können. Gibt es Streit im Dorf, ist er es, der vermittelt. Inzwischen tritt Franky sogar bei landesweiten Tagungen der Kirche zum Thema Gewalt gegen Frauen auf. Schwester Thecla sieht sich bestätigt: „Es ist wichtig, dass wir rausgehen. Wir müssen aufklären, kulturelle Gegebenheiten weiterentwickeln und unser Denken verändern!“
Starke Frauen organisieren sich im Dorf Mugil
Starke Frauen: In Mugil läuft die Präsventionsarbeit längst ohne Sister Thecla.
Das gelingt in Mugil. Eine Pfarrei am Berg, mit Kirche, Gesundheitsstation und einem weiten Blick über den Pazifik. In jeder Hinsicht ein Vorzeigedorf. Hier trägt die Präventions-Arbeit von Sister Thecla Früchte. Eine Gruppe aus Frauen jeder Generation hat sich organisiert und einen kleinen Raum mit Wellblechdach zum ihren erklärt. Hier wird regelmäßig diskutiert. Es geht um Gewalt gegen Frauen, um Missbrauch, um Kinderrechte.
Mary Aniu ist heute dazu gekommen. Dank Sister Thecla hat sie Arbeit in der kleinen Klinik gefunden, nachdem die vier Kinder aus dem Haus waren. Eine Aufgabe, die ihr Respekt verschafft. Auch in ihrer Ehe. Mitten unter die buntgekleideten Frauen hat sich Francis Dedmai gemischt, eine abgewetzte Mappe unterm Arm. Seinen Titel trägt er stolz: „Beauftragter für Menschenrechte“. Als solcher ist er das Bindeglied zu den Männern in der Gegend. Um alle zu erreichen, nehmen er und seine inzwischen schon knapp 20 männlichen Multiplikatoren-Kollegen tagelange Fußmärsche auf sich. Dedmais Ziel: „Wir wollen, dass die nächste Generation lernt, es anders zu machen!“ Um gerade die zu erreichen, hat er eine Idee: Bei Veranstaltungen in den Dörfern künftig auch mal Filme zum Thema Menschenrechte zu zeigen.
Viele Ideen für die Zukunft
Auch Schwester Thecla hat noch eine Idee für die Zukunft: Ein Hostel, nur für Frauen. Sie erklärt: „Immer mehr Frauen verlassen während der Woche ihre Dörfer, um in Stadtnähe einer Arbeit nachzugehen, die die Familie ernährt.“ Das Hostel könnte ein sicheres Umfeld bieten – und gleichzeitig mit günstigen Mieteinnahmen den Fortbestand der wichtigen Frauenrechts-Arbeit sichern. „Gewalt gegen Frauen zerstört alles, am Ende ganze Familien. Aber eine gute Familie ist die Grundlage für gute Bürger und am Ende für ein zukunftsfähiges Land.“ Davon ist die Ordensfrau überzeugt.
Und wie geht es für Vero James und Marta weiter? Vero hat sich entschieden, noch einmal neu anzufangen. Ohne Ehemann, aber nicht alleine – die Gemeinschaft ihrer Mutter im Hochland, wo sie ursprünglich herkommt, nimmt sie wieder auf. Doch zunächst will sie wieder zu Kräften kommen. Im geschützten Raum des Frauenhauses.
Schwester Thecla Gemog ist im Weltmissionsmonat im Oktober in Deutschland unterwegs und berichtet von ihrer Arbeit.