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Eine starke Stimme für Indiens Frauen


17. August 2023
Sie ist eine Frau, die Ungerechtigkeiten nicht gelten lässt. In ihrer Heimat Indien kämpft sie für die Anliegen von Frauen in Kirche und Gesellschaft und spricht Missstände offen an. Schwester Nirmalini Nazareth ist die Ordensoberin der Kongregation der "Apostolic Carmel Sisters". 2022 wurde sie zudem zur Präsidentin der "Conference of Religious India" gewählt und steht damit an der Spitze der mit mehr als 140 000 Ordensfrauen und -männern größten Gruppe katholischer Ordensleute weltweit.
© Friedrich Stark/missio München

Schwester Nirmalini Nazareth macht keinen Hehl daraus, dass sie eine Veränderung der herkömmlichen Strukturen für dringend nötig hält – und dass das nur gemeinsam und im Dialog mit den Frauen geschehen kann. Die Position als Präsidentin der Ordensoberenkonferenz hilft ihr, dafür einzustehen. "Ich habe dieses Amt zu einer Zeit übernommen, als die Kirche in Indien mit verschiedenen Herausforderungen von innen und außen konfrontiert war", sagt die 57-Jährige. Sie nennt sexuelle Ausbeutung, Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, ein ungerechtes Gehaltssystem für Ordensfrauen und die Vorherrschaft des Klerus.

Unterstützung für Missbrauchsopfer

In nur einem Jahr hat sie gemeinsam mit ihrem Leitungsteam verschiedene Initiativen gestartet, um die Situation zu verbessern. "Mein erster Schritt war es, eine unabhängige Beratungs- und Beschwerdestelle für Ordensleute sowie ein Unterstützungssystem für Missbrauchsopfer einzurichten. Eine Plattform, um sich geschützt und vertrauensvoll äußern zu können“, berichtet die Ordensoberin. Über den sexuellen und psychischen Missbrauch katholischer Ordensfrauen durch Geistliche wird zwar auch in Indien mittlerweile gesprochen, aber noch immer fühlen sich Opfer unter Druck gesetzt und verängstigt.

"Mit der Beratungsstelle wollen wir einen sicheren Ort für Dialog bieten – und die Probleme anschließend angehen", verspricht Nirmalini Nazareth. Gleichzeitig tritt die Ordensschwester dafür ein, dass mehr Frauen in der Kirche Verantwortung übernehmen. "Das Führungskonzept in der Kirche ist zu sehr institutionalisiert, da nur die Oberen die Rolle des Anführers spielen und die anderen ihnen nur‚gehorchen", versucht Nazareth das bestehende System zu erklären. "Das Gelübde des Gehorsams bedeutet nicht nur, dass man sich den Anweisungen von außen beugen sollte. Wir sollten auf die inneren Rufe und Überzeugungen hören und die eigene Würde und das eigene Potenzial respektieren", mahnt sie. Workshops für die Ausbildung von Führungskräften – sowohl für weibliche als auch männliche Ordensleute – sollen dabei helfen, alte Hierarchien aufzubrechen.

Ordensschwestern als "Agentinnen des sozialen Wandels"

Ganz konkret will Nirmalini Nazareth dabei die Ordensfrauen fördern: "Wir müssen unser Ausbildungssystem überdenken, um unseren Schwestern zu helfen, mit eigenständigem Denken, Würde und Führungsqualitäten aufzuwachsen, anstatt sie zu gehorsamen Schafen zu erziehen." Ihr Ziel ist es, die Schwestern zu ermutigen, ihre innere Stärke zu entdecken und sich als "Agentinnen des sozialen Wandels" zu verstehen. "Die Präsenz von Frauen ist absolut notwendig, denn sie sind mutig, furchtlos und haben ein offenes Herz", betont Schwester Nirmalini und fügt hinzu: "Sie haben das Durchhaltevermögen und die Ausdauer, einen Weg zu beschreiten und den Wandel herbeizuführen."

Furchtlos für Gleichberechtigung und Gerechtigkeit

Von den verstärkten hindu-nationalistischen Tendenzen in Indien unter Premierminister Narendra Modi will sich Schwester Nirmalini Nazareth mit ihren Ordensleuten in ihrem Kampf um Gleichberechtigung und Gerechtigkeit nicht abschrecken lassen. In mehr als zehn indischen Bundesstaaten gelten inzwischen sogenannte Anti-Konversionsgesetze, die bei Verstoß gegen das Gesetz harte Strafen für diejenigen vorsehen, die zu anderen Religionen als dem Hinduismus konvertieren oder dafür werben. "Es ist nicht der richtige Zeitpunkt, um uns von unseren Diensten für die Gesellschaft zurückzuziehen, um der Kritik der Hardliner zu entgehen. Wir sollten unser Netzwerk ausbauen und gegen solche Zustände protestieren", fordert Schwester Nirmalini. "Millionen von Inderinnen und Indern wurden in Einrichtungen unserer Orden ausgebildet und haben von unserer Gesundheitsfürsorge oder unseren Programmen zur Förderung der sozialen Kompetenz profitiert. Es ist an der Zeit, dass sie sich für uns einsetzen!"

Katholische Schulen sind in Indien für ihr ausgezeichnetes Bildungsniveau bekannt und bieten Kindern unabhängig von der Herkunft eine fundierte Ausbildung. Allein die Carmel-Schwestern betreiben 305 Bildungseinrichtungen, fünf Colleges und Lehrerausbildungsstätten sowie Schulen für Kinder und junge Erwachsene mit Behinderungen. "Bildung ist wichtig und notwendig für alle Mädchen, wenn sie sich in der Gesellschaft behaupten und eine Stimme haben sollen", betont Schwester Nirmalini. "Unsere Bildungseinrichtungen sind Zentren für Wandel und Empowerment!"

Schwester Nirmalinis großes Ziel ist es, dass die wichtige Rolle der Frauen und insbesondere der Ordensfrauen in Indien endlich anerkannt wird und dass Frauen selbstbewusst gegen Ungerechtigkeit und Ungleichheit ihre Stimme erheben. "Wir Ordensfrauen stellen Tausende von Lehrern, Hunderte von Ärzten und Anwälten, Ingenieuren, Psychologen und Sozialarbeitern. Wir wünschen uns mehr Unterstützung und Anerkennung von Kirche und Gesellschaft, im Moment ist die noch minimal. Aber immerhin sehen wir Anzeichen für kleine Schritte in diese Richtung."

Text: Antje Pöhner

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