„Wir sind Hoffnungsinseln im Ozean von Leid“
„Unsere Zentren für Arbeitsmigrantinnen und -migranten sind völlig überfüllt. Rund 1500 Frauen und Männer aus Afrika suchen derzeit Schutz. Vor Beginn des Krieges hatten viele Frauen aus Ländern wie Äthiopien, Eritrea oder auch Nigeria als Haushaltshilfen gearbeitet. Männer hatten Jobs auf Baustellen oder an Tankstellen. Jetzt, da viele libanesische Familien aus ihren Heimatorten fliehen, werden die ausländischen Arbeitskräfte einfach zurückgelassen. Viele sind auf der Straße gelandet und müssen um Essen betteln. Aber der Weg zurück in die Heimat ist versperrt. Selbst wenn sie das Geld hätten: Es gibt es keine Flüge mehr aus Beirut nach Afrika.“
„Die Schulen im Großraum Beirut haben teilweise geschlossen. Diejenigen, die geöffnet haben, bieten bei weitem nicht den regulären Schulbetrieb. Viele dienen den vielen Vertriebenen als Schutz. Im Fußball-Stadion der Stadt kommen inzwischen auch obdachlos gewordene Familien unter.“
Micheline Sarkis, Caritas Libanon
„Uns Benediktinern sind zwei Klöster in Israel anvertraut: die Dormitio in Jerusalem und Tabgha am See Genezareth. Wir hatten beide Klöster bislang keinen einzigen Tag geschlossen und mussten glücklicherweise auch keinen unserer Angestellten entlassen, die ja alle Familie haben. Wir haben allerdings fast keine Einnahmen mehr, denn diese brachten ja immer die Pilger.
Das Auswärtige Amt hat auch uns dazu aufgefordert, Israel zu verlassen. Aber eines unserer drei Gelübde ist nun mal die ’Stabilitas‘, die Beständigkeit. Diese Berufung spüren wir in diesen Tagen noch einmal ganz neu: Wir sind da. Wir wollen präsent sein, mit unseren Gottesdiensten und als Seelsorger. Wir spüren, das ist gut, und viele Menschen sind dankbar, dass wir dableiben. Allerdings sind die Studierenden unseres theologischen Studienjahrs aus Sicherheitsgründen nicht bei uns, sondern in Rom.
In Tabgha, nahe zur libanesischen Grenze, sind wir nah am Krieg. Es gibt häufig Raketenalarm. Im Luftschutzbunker haben wir uns zeitweise täglich in Sicherheit gebracht. Ich versuche in diesen Zeiten, noch öfter dort präsent zu sein.
Im Sommer haben wir das Kunstprojekt ´Glauben´ umgesetzt mit Werken jüdischer und muslimischer Künstler. Wir wollten Brücken bauen über das gemeinsame Gebet hinaus. Manche fragten: Krieg – und ihr macht Kunst? Ja, genau das ist notwendig. Wir hatten acht große Kunstwerke vom Dach bis hinunter in die Krypta präsentiert, von jüdischen und muslimischen Künstlerinnen und Künstlern. Künstler sind Suchende, und auch als Gläubige sind wir Suchende. Wir wollen eine Hoffnungsinsel sein in diesem Ozean von Leid.
An Allerseelen haben wir einen wunderbaren Gottesdienst gefeiert, in Hebräisch, Arabisch und Englisch – den drei Sprachen, die hier gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Das ist wie ein Zeichen. Und das macht uns auch als Christen in diesem Land aus, dass wir mit Arabisch und Hebräisch als Muttersprachen der Gläubigen in diesem Land sowohl in die israelische als auch in die palästinensische Gesellschaft eingespannt sind. Der interreligiöse Dialog geht weiter – aber er ist herausfordernder geworden. Der Krieg stärkt die Ränder und das Schwarz-Weiß-Denken. Normalerweise bin ich ein energiegeladener Mensch. Aber auch ich merke nach diesem Jahr eine gewisse Müdigkeit. Werde ich nach meiner Position gefragt, antworte ich immer: Ich bin pro Mensch.
Und ja, ich habe Hoffnung auf Frieden. Ich folge dem österlichen Gedanken: Gerade wo wir nur den Tod sehen und die Vernichtung, kann Gott neues Leben, Versöhnung und Neuanfang schenken. Und auf einer anderen Ebene: Ich kenne hier so viele wunderbare Menschen, Juden, Muslime und Christen, die dieselbe Hoffnung haben und weit über ihre Grenzen hinausgehen in diesen Tagen. Gemeinsam mit ihnen möchte ich mich für eine gute Zukunft einsetzen. Ich kann nicht den Nahost-Konflikt lösen. Aber ich finde es moralisch anspruchslos zu sagen: Ich kann ja eh nichts machen. Und darum setzen wir weiter Impulse.“
Abt Nikodemus Schnabel, Benediktinermönch und Abt der Dormitio in Jerusalem/Israel
„Im Libanon brennen die Zedern. In den vergangenen Wochen war ich kaum in den sozialen Netzwerken unterwegs. Das tut mir nicht gut. Uns allen im Libanon geht es nicht gut. Täglich Düsenjägerlärm und Detonationen, beunruhigenden Nachrichten und Fake News, Bilder von toten Kindern und älteren Menschen, die einem das Herz zerreißen. Ich sehe Kinder, die wieder einmal ihres Rechts auf ein Leben in Frieden und auf Bildung beraubt werden. Doch wir Libanesen sind wie ein Phönix, der sich aus der Asche erhebt. Mitten im Krieg entscheiden wir uns täglich neu für das Leben. Wir wachen jeden Morgen wieder auf, gehen zur Arbeit, beten und hoffen.“
Juliana Sfeir, ökumenischer Fernsehsender SAT-7 in Beirut/Libanon
(vor dem Waffenstillstand Anfang Dezember)
„Die Bekaa-Ebene im Libanon ist schwer betroffen. Die Menschen in den christlichen Dörfern haben inzwischen mehr als 15 000 muslimische Geflüchtete aus den bombardierten Regionen aufgenommen. Zusammen mit unseren Partnern tun wir als Kirche alles in unserer Macht Stehende, um für das Nötigste zu sorgen, das sind zum Beispiel Lebensmittel, Kleidung oder Hygieneartikel.
Wir haben unsere Kirchen, Hallen und Schulen für Geflüchtete geöffnet. Familien brauchen einen Ort, um zur Ruhe zu kommen. Doch es kommen immer mehr. Ich kenne Familien, die drei weitere Familien mit jeweils etwa 15 oder mehr Personen aufgenommen haben. Es gibt nicht genügend Unterkünfte. Es fehlt an Nahrungsmitteln, Kleidern und medizinischer Versorgung. Das belastet die Ressourcen jeder Familie. Wir werden sehr als Seelsorger gebraucht. Und wir versuchen, mit unseren Gottesdiensten und Angeboten zum Gebet eine gewissen Routine als Anker beizubehalten. Das ist sehr wichtig für die Betroffenen. Als Kirche haben wir einen richtigen Plan aufgestellt, in den auch mehr als 100 Freiwillige und Gemeindemitarbeiter eingebunden sind.
Doch wird das reichen? Der Winter bereitet uns zusätzliche Sorgen. Die einzige sichere Transportroute über den Atlas droht, wegen Schnee gesperrt zu werden. Haben wir genug Ressourcen, um zu heizen? Natürlich behalten wir besonders die vulnerablen Gruppen im Blick: Frauen, Kinder, Alte und Kranke. Für Kinder haben wir sichere Räume geschaffen, in denen sie spielen und lernen können, oder einfach reden. Mit Hilfe unseres diözesanen Krankenhauses und Freiwilligen haben wir eine mobile Krankenstation aufgebaut. Bei alledem erfahren wir innerhalb der Gemeinschaft eine große Solidarität. Das nährt meine Hoffnung, dass wir am Ende vielleicht sogar gestärkt aus diesem Krieg herausgehen können. Ich glaube daran, dass wir mit Beharrlichkeit und unserem Glauben die Schäden beheben können, die dieser verheerende Krieg verursacht hat und noch verursachen wird. Die Zukunft ist ungewiss, aber nicht frei von Hoffnung. Wir knüpfen neue Bande in Zeiten des Unglücks."
Monsignore Hanna Rahme, Maronitischer Erzbischof von Baalbek - Deir El Ahmar, Libanon
„Von unserem Haus aus hören wir ständig Explosionen aus dem Süden. Aber wir sind weit genug davon entfernt, um uns sicher zu fühlen. Wir sind eine Ordensgemeinschaft mit Brüdern aus Spanien und Ruanda, Madagaskar oder Spanien. Nachdem der Konflikt ausgebrochen war, haben sich unsere Familien im Ausland gesorgt. Aber wir alle haben beschlossen, zu bleiben und täglich Kindern die Möglichkeit zu geben, zu uns zu kommen – auch wenn Schule nicht mehr stattfinden kann. Wir haben Erzieher im Team, auch psychologisch geschulte. Und wir unterstützen Familien, die Geflüchtete aufgenommen haben. Tatsächlich erreichen wir aber nur noch die Menschen in unserer direkten Umgebung. Kinder aus anderen Dörfern können nicht zu uns kommen. Sie könnten auf ihrem Weg beschossen werden.
Auch unser Personal ist leider nicht immer da – je nachdem, wie sicher die Wege sind. Manche sind auch mit ihren Familien in die Berge gezogen. Andere versuchen, immer wieder die Strecke von Beirut zu uns zu meistern. Andere hatten zwischenzeitlich große Angst. Natürlich haben wir dafür vollstes Verständnis. Jeder hilft nach seinen Möglichkeiten und Kräften, ganz so, wie es auch ihm oder ihr persönlich guttut. Wir behalten auch die vielen geflüchteten Familien im Blick. Wir fragen sie, was wir für sie tun können. Manche kamen mit nichts, nur ihren Kleidern am Leib. Oft sind auch Säuglinge dabei. Wir besorgen Matratzen, Decken und tun, was uns möglich ist. Wir haben auch Medikamente besorgt und Windeln. Der Winter macht die Hilfe nicht einfacher. Es regnet und es ist kalt. Zudem nehmen wir wahr, dass zwischen christlichen und schiitischen Geflüchteten die Spannungen wachsen. Misstrauen herrscht. Diese Spaltung wird nicht leicht zu kitten sein. Auch das haben wir im Blick für die Zeit nach dem Krieg. Als Fratelli-Projekt wollen wir ein Friedenszentrum sein. Unsere Mission ist es, dazu beizutragen, dass nach dem Ende des Krieges wieder ein gutes Leben möglich wird, dass Beziehungen neu wachsen dürfen.“
Fr. Juan Carlos Fuertes Marí, Fratelli-Bildungsangebote/La Salle, Rmeileh, Süd-Libanon
„Wir dürfen die Hoffnung nicht verlieren, denn die Hoffnung ist Gott! Unsere Schule in Beit Hebbak, Jbeil, hat Kinder aus mehr als 30 umliegenden Dörfern sowie aus vertriebenen Familien aus dem Süden des Libanon aufgenommen. Einige haben keine Verwandten, sie wohnen im Waisenhaus und lernen kostenlos in unserer Schule. Aber wir benötigen mehr Möglichkeiten, diese Kinder unterzubringen und sie mit Lebensmitteln zu versorgen.“
Mutter Maguy Adabashy, Generalsekretärin Missionsschwestern vom Allerheiligsten Sakrament, Beit Hebbak, Jbeil, Libanon
„Es sind schwierige Tage. Auch viele Mitarbeiter des Jesuiten-Flüchtingsdienstes (JRS) sind vertrieben worden. Aber es tröstet zu sehen, dass sich selbst diejenigen nicht von ihrer Arbeit abbringen lassen. Von Beginn an haben wir uns um die vielen Geflüchteten gekümmert, wie es traditionell unsere Aufgabe ist. Dazu gehören neben den ersten und nötigsten Maßnahmen, wie Matratzen, Decken und Lebensmittel natürlich auch der Schutz und Bildungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche. Unser Team in Baalbek ist nach dem Beschuss geflohen. Sie arbeiten inzwischen aus den offiziellen Notunterkünften in Barqa und Beshweit heraus. In Beirut sind wir ebenfalls in den offiziellen Unterkünften vertreten. Außerdem haben wir die Jesuitenkirche für die Unterbringung von Arbeitsmigrantinnen und -migranten geöffnet. Diese Menschen wurden in den offiziellen Unterkünften abgewiesen, da sie keine libanesischen Staatsbürger sind. Hunderte weiterer Arbeitsmigranten sind in Exerzitienzentren der Jesuiten oder in anderen Klöstern in sicheren Regionen untergebracht. Sie gehören zu den am meisten gefährdeten Personen, da sie keine familiären Strukturen im Libanon haben. Die Gottesdienste, die wir mit ihnen feiern konnten, waren sehr berührend. Jeder diente als gute Stütze für den anderen und sang ´Hier bin ich, Herr´ - dabei kamen mir beinahe die Tränen. Migranten – die mitten in einem Krieg zwischen Ländern feststecken, die nicht ihre Heimatländer sind, von ihren Arbeitsgebern im Stich gelassen und von staatlichen Unterkünften abgewiesen – singen gemeinsam ein Lied der Würde und des Lobes, der Stärke und des Mutes. Das Mindeste, das wir tun können, ist, ihnen beizustehen.“
Fr. Daniel Corrou S.J., Regionaldirektor des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes für Irak, Jordanien, Libanon und Syrien
„Ich habe in meinem Leben schon viele Kriege miterlebt, aber dieser ist der härteste. Es kommt fast täglich vor, dass Bewohner eines Dorfes, eines Viertels oder eines Gebäudes aufgefordert werden, dieses sofort zu verlassen. Anschließend wird alles in Schutt und Asche gelegt. Viele Menschen stehen mit nichts da, im Pyjama und mit Hausschuhen an den Füßen. Unser Büro befindet sich in einem rein christlichen Viertel, so dass wir keine Luftangriffe fürchten müssen und weiterarbeiten können. Noch mehr als zuvor, um all die Hilfe koordinieren zu können. Die Menschen im Libanon haben Angst, dass dieser Krieg das Land in eine Katastrophe führen wird. Sollten am Ende Gebiete von israelischen Bodentruppen besetzt werden, geraten wir in einen neuen Teufelskreis aus Gewalt und Gegengewalt.“
Michael Constantin, Regionaldirektor der Päpstlichen Missionswerke in Beirut, Libanon
(vor dem Waffenstillstand Anfang Dezember)