Varanasi gilt als die heiligste Stadt des Hinduismus.WER IN VARANASI stirbt, so heißt es, dem ist die Erlösung sicher. Täglich strömen Pilger aus aller Welt in die heiligste Stadt der Hinduisten, nehmen ein rituelles Reinigungsbad im Fluss Ganges, ziehen von Tempel zu Tempel oder sind Trauergäste bei einer der vielen Verbrennungszeremonien am Manikarnika Ghat – auf den Stufen hinunter zum heiligen Fluss. Sie glauben fest daran, dass die Toten, die hier verbrannt und deren Überreste dem Ganges "übergeben" werden, dem Kreislauf der Wiedergeburt entkommen.
Unermüdlicher Kampf für die Umwelt
Einer, der sich in der Stadt, die in der Kolonialzeit "Benares" hieß und die die Hindus "Kashi" – "Ort des Lichts" – nennen, lieber um Leben und Zukunft als um Trauer und Tod kümmert, ist der Ordenspriester Father Anand Mathew. Gemeinsam mit seinen Mitbrüdern und Priesterkollegen der Ordensgemeinschaft der „Indian Missionary Society“ kämpft er dafür, das Bewusstsein für Klimaschutz in Varanasi zu stärken. "Laudato Si in Action" nennen sie ihr Umweltschutz- und Klimaprojekt, für das sie sich seit vielen Jahren unermüdlich einsetzen. Sie haben Aufforstungsprojekte ins Leben gerufen, Begrünungs- und Biogemüseaktionen in den vielen Dörfern und Gemeinden vorangebracht und versuchen, Schritt für Schritt eine organisierte Abfall- Entsorgung einzuführen.
Father Anand Mathew: "Wir müssen für die Umwelt kämpfen ohne Kompromisse."
Father Anand ist ein ruhiger, besonnener Mann mit weißem Vollbart und sonorer Stimme. Am liebsten führt er Besucherinnen und Besucher zuerst in den Dachgarten des Vishwa Jyoti Kommunikationszentrums, dessen Name in der indischen Sprache Sanskrit soviel wie "Licht für die Welt" bedeutet. In dem vierstöckigen schmalen Haus in der Innenstadt von Varanasi ist die Zentrale der katholischen Umweltaktivisten rund um den 64 Jahre alten Priester untergebracht. Hier oben zieht er in Betonkübeln und Plastikeimern Granatapfelbäume, Chilipflanzen, Tomatenstauden, Auberginen, Aloe Vera, Bohnen und Okra. Geduldig erklärt er, welche Pflanzen besonders viel Sauerstoff produzieren und welche Bäume und Sträucher nur wenig Wasser brauchen und dennoch viele Früchte tragen.
Father Anand zeigt über die Nachbardächer hinweg auf die Uferbefestigung des Flusses Varuna, die vor ein paar Jahren erneuert wurde. Seine Forderung nach einer Begrünung und Bepflanzung des Ufers wurde damals leider nicht berücksichtigt, sagt er. Auf die Frage nach dem Grund zuckt er nur mit den Schultern. "Da ist einfach kein Bewusstsein da. Das bringt keinen Profit, dann wird auch kein Sinn darin gesehen".
Wenige Meter hinter dem Ufer ragt ein großes Plakat in den Himmel. Es zeigt Indiens Premierminister Narendra Modi neben Yogi Adityanath, den Ministerpräsidenten von Uttar Pradesh. Sie geben den Ton an im hiesigen Bundesstaat, der als einer der hindunationalistischsten des Landes gilt. "Wir leben in einer Welt der Gier und Selbstbezogenheit", sagt Father Anand und seine sonst so ruhige Stimme wird laut. "Die Gesellschaft denkt im Grunde nur an Profit. Wer Geld und Macht hat, der bestimmt."
Sorge für das "gemeinsame Haus"
Father Anand und seine Mitbrüder sehen es als ihre Pflicht an, das Bewusstsein der Menschen zu ändern – weg von der Gleichgültigkeit der Umwelt gegenüber, hin zu Achtsamkeit und Nachhaltigkeit. "Wir müssen für die Umwelt kämpfen ohne Kompromisse", betont Mathew. Damit ein gesamtgesellschaftliches Umdenken gelingt, gehen die Ordensleute in Varanasi vor allem hinaus "an die Basis", in die vielen Dörfer rund um Varanasi. "Der Papst wollte mit seiner Enzyklika "Laudato-Si" nicht, dass wir grüne Kolonien in unseren Enklaven bauen. Er will, dass wir in der Sorge für das gemeinsame Haus zu den Menschen gehen." Die Klimaschützer rund um Father Anand klären daher in Gemeindeversammlungen über Anbaumethoden auf, halten Workshops und Seminare ab, sensibilisieren die Bevölkerung mit Straßentheaterstücken für Umweltund Klimaanliegen und organisieren Pflanzaktionen in Vorgärten und auf Feldern. "Die Bewirtschaftung des Bodens ist hier nicht einfach", erklärt Father Anand. "Die Erde ist hart und steinig und damit schwierig zu kultivieren. Aber immerhin haben wir gute Wasserquellen durch den Ganges."
Die Miyawaki-Idee
Die Klimaschützer rund um den Priester Anand Mathew organisieren Baum- und Gemüsepflanzaktionen in Vorgärten und auf freien Flächen.An diesem Nachmittag ist Anand Mathew mit jungen Landwirten aus den Gemeinden in einem frisch angepflanzten "Miyawaki"- Wald verabredet. Schon im April erreichen die Temperaturen in diesem Jahr knapp 45 Grad. "Die schwerwiegenden Wetterveränderungen fordern uns heraus, dringend etwas zu tun", mahnt der Priester. Die Miyawaki-Methode – entwickelt von dem japanischen Pflanzensoziologen Akira Miyawaki – liegt dem Priester dabei ganz besonders am Herzen. Er will heute möglichst viele Gemeindeverantwortliche motivieren, solche Wälder auch rund um ihre Gemeinden anzubauen.
"Die Idee ist, Bäume so zu pflanzen, dass sie schneller wachsen und schneller beim Klimaschutz helfen können", erklärt Father Anand den Männern. "Damit kann man auch kleine Flächen aufforsten, es reicht schon ein Drittel eines Fußballfeldes." Die Männer erfahren, dass mindestens 25 verschiedene einheimische Arten nebeneinander gepflanzt werden können, dass die Kohlendioxidaufnahme um ein 30-faches besser ist als bei einer Monokulturplantage und dass schon nach etwa drei Jahren ein natürlicher Wald entstehen kann, der komplett ohne Kunstdünger auskommt. "Wir alle müssen uns um Mutter Erde sorgen", bläut er den jungen Männern ein.
Zurück im Kommunikationszentrum trifft Anand Mathew die Umweltaktivistin Ekta Shekhar. Regelmäßig tauscht er sich mit der Mitgründerin des Netzwerks "The Climate Agenda" aus. Gemeinsam mit anderen Klimaschützern und Menschenrechtlern macht die Aktivistin auf die sich ständig verschlechternde Luftqualität rund um Varanasi und die damit verbundenen gesundheitlichen Auswirkungen auf die Bevölkerung aufmerksam.
Sie berichtet von den Kohleminen vor den Toren der Stadt, von der großen Textil- und Automobilindustrie. "Die Luft ist verpestet", sagt sie. "Es gibt kaum Einschränkungen. Die Umwelt ist den Mächtigen nicht wichtig." Es gebe zwar überall Graffitis mit Umweltslogans und Bildern von fröhlichen, müllsammelnden Menschen, doch das sei alles nur Augenwischerei. "Solche Aktionen sind von den großen Fabriken bezahlt, um sich von ihren Umweltsünden reinzuwaschen", schimpft sie. Gerade arbeiten Shekhar und Father Anand ein Skript aus, um die vielen Ziegelbrennöfen rund um die Stadt Schritt für Schritt von Kohle auf Gas umzustellen.
Theater für mehr Achtsamkeit
Während die beiden noch diskutieren, betreten acht junge Männer in grünen Tuniken und schwarzen Hosen den Raum im zweiten Stock der Vishwa-Jyoti-Zentrale. Es ist die Theatergruppe des Zentrums, die sich hier auf der Bühne vor dem großen Plakat mit der Varanasi-Altstadtkulisse zur Probe trifft. 110 Stücke rund um Klimaschutz, Hygiene und Gesundheit hat das Ensemble im Repertoire. Es sind die einfachen Botschaften: Wie halte ich meine Umwelt sauber, wie trenne ich meinen Müll, warum ist es so wichtig, nicht alle Abfälle in den Ganges zu werfen.
"Wir versuchen mit viel Humor und Selbstironie die Bevölkerung von unseren ernsten Anliegen zu überzeugen", sagt Father Anand. "Am Ende bleibt uns nichts anderes übrig als zu begreifen: Wir müssen unser Bewusstsein und unseren Umgang mit Mutter Erde ändern. Wir müssen Wasser und Energie sparen, mehr und mehr Bäume pflanzen und die Ausbeutung der Naturressourcen verringern!"
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