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26. Juni 2024
Interview:   Steffi Seyferth
Interview mit Ludwig von Bayern

"Am Anfang war hier nur ein steiniger Hügel"

Was macht gute Entwicklungshilfe aus? Dieser Frage widmet sich der Nachfahre der bayrischen Könige, Prinz Ludwig von Bayern, seit fast zehn Jahren in der Region Turkana, einer der abgelegensten und klimatisch härtesten Gegenden des Landes. Über die Herausforderungen, Tradition und Moderne zu vereinen.
26. Juni 2024
Text: Steffi Seyferth   missio München

6 2024 Prinz Ludwig Kenia PorträtPrinz Ludwig, Sie engagieren sich am Westufer des Turkana-Sees, haben selbst über viele Jahre immer wieder dort gelebt. Kürzlich fand hier der Spatenstich für den Bau einer Kirche statt. Was hat es damit auf sich?
Wir probieren hier am Turkana-See einen Musterort aufzubauen, der zeigt, wie positive Entwicklungshilfe aussehen kann. Als wir angefangen haben, war hier nur ein steiniger Hügel, jetzt ist hier ein richtiges Zentrum entstanden mit Strom- und Wasserversorgung, mit Kindergärten, Schulen und, ganz wichtig, unser IT-Projekt  "Learning Lions", in dem junge Erwachsene lernen, wie man mit digitaler Dienstleistung Geld verdienen kann. Das Ganze wächst und gedeiht sehr gut, aber ab einer  bestimmten Größe braucht man einen Ort, an dem die Menschen auch wirklich leben wollen und sich wohlfühlen, und dazu gehört auch die Möglichkeit, seinen Glauben zu leben.

Welche Rolle spielt der christliche Glaube denn für die Menschen hier? 
Es gibt verschiedene christliche Kirchen, auch muslimische, was hier in der Region zum Glück sehr gut miteinander funktioniert. Die katholische Kirche hat allerdings eine Sonderrolle, weil es die erste wirkliche Entwicklungsorganisation in der Gegend war. Lange bevor das andere gemacht haben, hat sie hier zum Beispiel Schulen oder Landwirtschaftsprojekte gefördert, und deshalb hat die katholische Kirche hier einen sehr starken Ruf. 

Zur geplanten Kirche sollen auch ein Pfarrhaus und ein Schwesternkonvent gehören?
Ja, wir haben hier eine Mädchenschule eröffnet, auf die in Zukunft viele hundert Schülerinnen gehen werden, es wäre toll, wenn es uns gelingt, Schwestern dazu zu bringen, sich hier anzusiedeln, die dann für die Mädchen als Ansprechpartnerinnen da wären. Das Pfarrhaus und natürlich auch die Kirche sollen nicht nur Anlaufzentrum für die Studenten unseres IT-Campus sein, sondern ein Versammlungsort für alle Menschen hier in der Gegend. 

Sie haben durch Ihre Arbeit viel bewegt, gleichzeitig leben die Menschen noch sehr traditionell …
Die Lebenswirklichkeit der Menschen ist hier zum Teil noch so wie vor Jahrhunderten oder Jahrtausenden: Man lebt auf einem Gelände mit ein paar Hütten, der Ehemann hat mehrere Frauen. Die Mädchen werden dann irgendwann verheiratet, und die Jungen müssen auf die Ziegen aufpassen. Und gerade diese Verheiratung passiert leider oft schon sehr früh. Wir hatten schon Fälle mit neun Jahren, dann wird so eine Ehe zwar noch nicht gleich vollzogen, aber mit 14 Jahren dann schon, und das ist natürlich ein Riesenproblem, vor allem für die Mädchen, die sich das in keiner Weise so aussuchen, sondern allerhöchstens tolerieren. Dazu kommt, dass Schwangerschaften in so einem jungen Alter lebensgefährlich sind. Meistens werden die Mädchen zur Geburt dann auch nicht in ein Krankenhaus gebracht, weil man ja weiß, dass es eigentlich illegal ist, so früh zu verheiraten, und dann geht unglaublich viel schief. Die Dunkelziffer der Mädchen, die während der Entbindung sterben, ist extrem hoch. Das muss man heutzutage nicht mehr tolerieren.

Ist die von Ihnen gegründete Mädchenschule  ein Versuch, diese Tradition zu umgehen?
Es gab am Anfang einfach mehr Jungenschulen, und jetzt müssen wir schauen, dass wir das aufholen und mehr Schulen für Mädchen bauen. Das heißt nicht, dass jeder Familienvater deswegen auch sofort bereit ist, seine Tochter zur Schule zu schicken. Oft ist große Überzeugungsarbeit nötig, und man muss sich die Frage stellen lassen: "Was garantierst du mir dafür, wenn ich meine Tochter aus dem traditionellen Weg rausnehme?" Das sind immer sehr schwierige Diskussionen, aber trotzdem sollte man immer als Ziel haben, dass jedes Mädchen das Recht haben sollte, zur Schule zu gehen und vor allem das Recht haben sollte, nicht mit 14 oder noch jünger verheiratet zu werden. Man muss schauen, dass es nach der Schule weitergeht und Ausbildungsmöglichkeiten da sind.

Gerade wird eine Kita auf dem Campus der "Learning Lions" gebaut, auch ein Versuch, mehr Frauen die Ausbildung zu ermöglichen? 
Ja, es ist hier einfach Realität, dass es schon fast nicht normal ist, wenn man mit 20 noch keine Kinder hat. Da spielt vor allem der traditionelle Glaube eine Rolle. Die Menschen denken, man wäre nur fruchtbar, wenn man früh Kinder bekommt oder dass Verhütungsmittel unfruchtbar machen, wenn man sie vor dem ersten Kind anwendet. Das führt dazu, dass sehr junge Mädchen, auch unverheiratet, schon Mütter werden. Auch für sie wollen wir Möglichkeiten schaffen, an unserem Programm teilzunehmen. 

Die Region Turkana, eine Halbwüste, fordert den Menschen auch klimatisch einiges ab, in den vergangenen Jahren haben sich die Bedingungen sogar noch verschärft.
Das Problem ist, dass durch den Klimawandel die Extreme größer werden: Es gibt längere Trockenzeiten und dann auch unregelmäßigere, dafür sehr viel stärkere Regenepisoden. Beides ist nicht gut. Wenn es zu lange trocken ist, gibt es kein Futter mehr für das Vieh, und wenn das Vieh stirbt, stirbt irgendwann auch der Mensch. Und wenn es zu viel auf einmal regnet, überflutet hier alles, Bäume werden entwurzelt und stürzen um, Gebäude werden unterspült, das Land ist hier gar nicht ausgelegt für zu viel Regen. Deswegen sind diese Wetterextreme eine große Herausforderung, auf die man sich jetzt einstellen muss.

Die intensive Sonne hier haben Sie sich zu Nutze gemacht – der gesamte IT-Campus läuft mit Solarstrom. 
Das stimmt, aber da hier viele Menschen auch abends oder nachts arbeiten und Batterien sehr teuer sind, ist Solarenergie allein nicht so einfach. Deshalb wollen wir zukünftig auch Windkraft erschließen. Hinter dem Campus ist ein kleiner Berg, auf der Spitze dieses Berges werden wir gemeinsam mit dem berühmten afrikanischen Star-Architekten Francis Kéré, der auch schon unseren Campus entworfen hat, eine „Skulptur der Nachhaltigkeit“ errichten, die als Windrad und Wassertank fungiert und gleichzeitig ein Kunstobjekt und Blickfang für die ganze Region werden soll. 

ZUR PERSON
Prinz Ludwig von Bayern ist der Ururenkel des letzten bayerischen Königs Ludwig III. und das künftige Oberhaupt des Hauses Wittelsbach. Als Vorsitzender des "Hilfsvereins Nymphenburg"  engagiert er sich seit vielen Jahren in Kenias Nordwesten. Mit den "Learning Lions" hat er in der Region Turkana ein Programm geschaffen, in dem junge Menschen im Bereich Webdesign, Videoschnitt oder Software-Entwicklung ausgebildet werden und aus ihrer Heimatregion für Auftraggeber im Ausland arbeiten können. Sein neuestes Projekt vor Ort, der Bau einer Kirche, wird von missio München unterstützt.

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