BENSON SIAKABANZE zeigt auf ein kleines Viereck aus Mauerresten. „Das war das Haus, in dem ich zur Welt gekommen bin“, sagt er und macht eine Pause. „Und unter dem Baum dort haben wir immer im Schatten gesessen.“ Erneut verstummt der 43-Jährige und lässt den Blick über Steinhaufen, verwilderte Beete und einige wenige zurückgelassene Haushaltsgegenstände schweifen.
Rose Chulou verlor durch den Kohlebergbau ihre FelderDer Besuch geht dem Farmer sichtlich nahe. Zusammen mit seiner Nachbarin, Rose Chulou, zeigt er anschließend die ehemaligen Felder der beiden Familien. „Die Äcker haben unsere Familien noch bis vor kurzem gut ernährt.“ Heute ziehen sich dunkle Risse durch das Ackerland. Bäume stehen schief. Ein Schild verbietet den Zutritt. Aufgestellt hat es Collum Coal Mine, die chinesische Betreiberfirma der Kohlemine, für die dreiviertel der Dorfbewohner weichen mussten.
Kohlestaub statt Feldern und Busch
Rose Chulou steht mit verschränkten Armen am Feldrand. Die Farmerin kommt regelmäßig, um die Mangos von den Bäumen zu pflücken, die sie selber neben ihrem ehemaligen Wohnhaus gepflanzt hatte. „Das fühlt sich jedes Mal sehr schlecht an.“
Bereits die Anfahrt in das Dorf Siamajele im Süden Sambias lässt nichts Gutes erahnen. Auf der von schwarzem Kohlestaub bedeckten Piste rumpeln voll beladene LKW durch tiefe Schlaglöcher. Am Rande stehen lange Reihen leerer Fahrzeuge, die auf ihre Beladung warten. Die Fahrer hocken im Schatten daneben, einige schlafen auf Matten. „Früher gab es hier nur das Dorf, die Felder und den Busch“, erinnert sich Lillian Hamusiya.
Prostitution und Kneipen laufen gut
Die Mitarbeiterin einer NGO namens „Kaluli Development Foundation“ grüßt einige Frauen am Straßenrand, die Obst und Gemüse an die Fahrer verkaufen. Nicht das einzige Gewerbe, das durch die Mine boomt. In schummrigen Kneipen mit Namen wie Bana Bangu Bar vertrinken Minenarbeiter, die meist aus weiter entfernten Orten zum Arbeiten hierher kommen, ihren kargen Lohn. „Auch die Prostitution hat sehr zugenommen, und mit ihr die HIV-Ansteckungsrate.“
Benson Siakabanze hat sein Haus verloren. Im Hintergrund die Überreste.Die Frauen sind nicht die letzten, die Lillian Hamusiya grüßt. Bis vor einem Jahr hat sie hier noch mit den Dorfbewohnern gearbeitet, hat sie in nachhaltiger Landwirtschaft beraten, Ernährungskurse gegeben, verbessertes Saatgut verteilt oder über sparsame Bewässerungsmethoden referiert. Mit Erfolg, die Menschen konnten sich von ihrem Land ernähren, was in dieser Region im Süden Sambias keine Selbstverständlichkeit ist. Alles das ist den Bach heruntergegangen, als vor rund zwei Jahren über den Stollen der Mine die Erde aufzureißen begann.
Häuser bekamen Risse
„Sie untersagten uns, weiterhin auf den Feldern zu arbeiten, viele mussten wegen der Risse ihre Häuser verlassen“, erinnert sich Benson Siakabanze. Einige Bewohner erhielten Unterschlupf in der Kirche, andere mussten für Monate in Zelten wohnen, die nur allmählich und nach mehrmaligen Beschwerden von den Behörden aufgestellt wurden. Erst nach einem von Lillian Hamusiya und ihrer Organisation angestoßenen Fernsehbericht erhielten erste Bewohner Entschädigungen. „Mindestens ein Viertel von uns hat aber immer noch nichts bekommen.“
Benson Siakabanzes Augen funkeln vor Empörung. „Diese Menschen wohnen nach wie vor im alten Dorf und arbeiten auch auf ihren Feldern.“ Seine Familie hat das Geld zwar endlich im vergangenen Jahr erhalten. Doch für mehr als ein Stück Land, auf das ein paar Wohnhütten für die 25-köpfige Großfamilie passen, haben die umgerechnet 250 Euro nicht gereicht. Vorher bewirtschafteten sie drei Hektar.
So wie Benson Siakabanze und seine Familie haben sich auch die anderen aus dem Dorf entlang der schwarzen Piste mit der langen Reihe LKW angesiedelt, nur ein bis zwei Kilometer von ihren alten Häusern entfernt. Benson Siakabanze hat an seinem neuen Wohnort noch ein Stück Land von einem Hektar, das er von seinem Vater geerbt hatte. Es ernährt die Familie einigermaßen.
Viele können von Landwirtschaft allein nicht leben
Weniger gut sieht es für Rose Chulou und die meisten anderen aus. Die Witwe konnte sich von der Entschädigung gerade einmal einen Viertel Hektar Ackerland kaufen. Sie muss zusätzlich zur Landwirtschaft Geld verdienen mit der Herstellung von Holzkohle, wie viele andere Kleinbauern in der Region.
Mit ihren Gefluteter Tagebau einer italienischen Firma aus den 1960er JahrenMacheten hacken sie Bäume und Buschwerk ab und verkohlen das Holz, um es an der Straße zu verkaufen. Mit schlimmen Folgen für Umwelt und Menschen. „Die Arbeit in dem ständigen Qualm ist sehr anstrengend.“ Rose Chulou hustet. „Und die Einnahmen sind sehr gering.“ Sie reichen gerade einmal für die drei Waisen, um die sie sich kümmert. Selbst muss die 49-Jährige zusammen mit den anderen sechs Erwachsenen im Haushalt meistens eine Mahlzeit am Tag auslassen. Selbst dieser prekäre Status aber ist bedroht.
Angst vor Vertreibung
Wie lange wird Rose Chulou den neuen Hof und ihr kleines Ackerland nutzen können? Die Kleinbauern haben keine gerichtsfesten Titel auf ihr Land. Die chinesische Firma hingegen verfügt seit 2001 über eine Konzession der sambischen Regierung.
Und die Nachfrage nach Kohle wächst. Vor allem aus dem Kupferabbaugebiet im Norden Sambias, dem so genannten Copper Belt, und den zahlreichen Zementwerken im Land, aber auch aus Nachbarländern wie der Demokratischen Republik Kongo. Zurzeit holen die 500 Minenarbeiter 50.000 Tonnen im Monat aus den bis zu 350 Meter tiefen Stollen. Die Sicherheits- und Umweltstandards sind katastrophal. Regelmäßig gibt es Unfälle, nicht selten enden diese tödlich. Hinzu kamen in der Vergangenheit immer wieder Konflikte um nicht gezahlte Löhne und Steuerschulden.
Aussicht auf Erweiterung der Mine
Es gab gewaltsame Auseinandersetzungen bis hin zu Schießereien. Arbeiter sowie ein chinesischer Manager wurden getötet. Zwischenzeitlich entzog die sambische Regierung Collum Coal Mine die Konzession. Seit 2015 aber ist die Firma wieder im Geschäft. Und ihr wurde sogar eine Erweiterung der Mine in Aussicht gestellt. Das Vorkommen ist Teil eines Kohlegürtels, der sich bis nach Südafrika zieht. Keine guten Nachrichten für Rose Chulou, Benson Siakabanze und die anderen ehemaligen Bewohner von Siamajele.
Zwischengelagerte Kohle der DorfgenossenschaftSo wie auch für Arnod Maiya, einem Nachbarn von Benson Siakabanze. Der 63-Jährige vertritt eine Kooperative von Menschen aus der Region, die im Klein-Tagebau hinter dem ehemaligen Dorf Siamajele neben ihrer Landwirtschaft selbst Kohle gewinnen. Der Tagebau wurde Ende der 1960er Jahre von einer italienischen Firma gestartet. Ihre schweren Maschinen fraßen einen tiefen Krater in das Land. Ein plötzlicher Wassereinbruch setzte dem ein schnelles Ende – und verwandelte den Krater in einen See. „Das ging so schnell, dass sie nicht einmal die Lastwagen und die schweren Fräsmaschinen bergen konnten“, erinnert er sich.
Sie stehen heute noch auf dem Grund des Sees, an dessen Ufer Arnod Maiya und die anderen aus der Kooperative mit Hacken Kohle abschlagen und auf kleinen Booten abtransportieren. „Das ist für uns überlebenswichtig, seit wir nicht mehr auf unseren Feldern arbeiten können.“
Schon vier Mal vertrieben
Vier Vertreibungen hat Arnod Maiya in seinem Leben erdulden müssen. Als er ein kleines Kind war, bewirtschaftete seine Familie fruchtbares Land im Tal des Sambesi, dem Grenzfluss zum südlichen Nachbarland Zimbabwe. Für den Kariba-Stausee, einem der größten der Erde, siedelte die Regierung sie Ende der 1950er Jahre das erste Mal hierher. Nicht für lange. Als die italienische Firma zehn Jahre später anfing, nach Kohle zu graben, mussten sie wieder umziehen. Diese Mal gab die Regierung ihnen Land ein paar Kilometer zurück, in Richtung des Kariba-Stausees. „Das Land war flach und die Böden fruchtbar“, erinnert er sich.
Das faArnod Maiya wollte die Kohlereste aus einem stillgelegten Tagebau selbst verkaufen, doch die Chinesen stoppten das. nd auch ein ausländischer Großinvestor. Wieder musste die lokale Bevölkerung weichen. Mittlerweile war die italienische, offene Kohlenmine unter Wasser und die Familie von Arnod Maiya kehrte zurück nach Siamajeles - nunmehr an einen See. Dieser speiste fortan sogar ein Bewässerungssystem, das die Bewohner Siamajeles dank der Unterstützung einer Entwicklungsorganisation bauten. „Das brachte unsere Landwirtschaft sehr voran.“
Kooperative darf nur begrenzt Kohle abbauen
Doch dann begann die Erde aufzureißen. „Ohne den eigenen Kohleabbau könnten wir unsere Familien nicht ernähren“, sagt Arnod Maiya. Doch bereits schon einmal haben die chinesischen Minenbetreiber versucht, das gerichtlich zu unterbinden. Ein Kompromiss wurde gefunden. Seitdem darf die Kooperative, der 200 Haushalte angehören, 30 Tonnen pro Monat abbauen. Das hört sich zunächst einmal viel an. „Das ist nicht mehr als so ein Haufen.“
Arnod Maiya zeigt auf einen der schwarzen Haufen aus Kohlebrocken, die von den Männern der Kooperative zwischen dem Ufer des Sees und dem alten Dorf aufgeschüttet wurden. Sie sind kaum höher, als die bescheidenen Hütten der Menschen im Dorf.
Collum Coal Mine baut jede Stunde drei Mal so viel ab. Arnod Maiya zieht die Schultern hoch und schüttelt den Kopf. „Was kommt als nächstes?“ Dann macht er sich wieder auf den Weg nach Hause, über die schwarze Piste, vorbei an seinem alten Dorf mit den verfallenen Häusern. Und an den brach liegenden Feldern von Rose Chulou und Benson Siakabanze. Eine Zukunft sieht anders aus.
UMKÄMPFTES LAND, UMSTRITTENE MINE
Die Geschichte der Collum Kohlemine zeigt deutlich, mit welchen Schwierigkeiten die Menschen in rohstoffreichen, aber armen Ländern wie Sambia zu kämpfen haben. Ihre Regierungen machen ausländischen Investoren teils große Zugeständnisse, um die Wirtschaft anzukurbeln, und in einigen Fällen auch, um von diesen Geschäften selbst zu profitieren. Für die betroffene Bevölkerung bedeutet das, immer wieder Grund und Boden zu verlieren. Die Kohleförderung der Collum-Mine begann 1966 in der Hand der sambischen Regierung, war aber von kurzer Dauer: Probleme mit dem Erdreich und Überflutungen zwangen die Betreiber bereits nach einem Jahr zur Stilllegung.
Erst im Jahr 2000 nahm ein chinesischer Investor aus der Provinz Jiangxi den Abbau wieder auf. Die mangelhaften Sicherheits- und Umweltstandards in der Mine sorgten in den Folgejahren wiederholt für Skandale. Auch diArbeitsbedingungen und die schlechte Entlohnung trieben die sambischen Arbeiter in Streiks. Einer dieser Streiks eskalierte im Jahr 2010, die chinesischen Vorarbeiter setzten Schusswaffen ein und verwundeten 13 sambische Minenarbeiter. In den Folgejahren entzog die sambische Regierung dem chinesischen Betreiber aufgrund der massiven Umweltschäden die Lizenz und gestand sie erst 2015 wieder zu.