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05. Oktober 2021
Reportage:   Christian Selbherr
Reportage aus dem Senegal

Kein Krieg und noch kein Frieden

Der Kampf um die Region Casamance gehört zu den vergessenen Konflikten. Die Waffen schweigen wohl zurzeit, doch die Wunden des Krieges im Süden des Senegals sind noch fast überall spürbar. Jetzt kehren viele Flüchtlinge zurück. Wie kann der Wiederaufbau gelingen? 
05. Oktober 2021
Text: Christian Selbherr   Jörg Böthling/missio München

Casamance Daniel ColyDaniel Coly lebte mehr als 30 Jahre im Dschungel und kämpfte für die RebellenIM WALD IST ER GEWESEN, mehr als dreißig Jahre lang. Aber wenn Daniel Coly mit seinen Nachbarn über diese Zeit spricht, dann bleibt vieles unklar. Was hat er dort genau gemacht? Das erzählt er lieber nicht, und nachfragen wollen sie auch nicht. "Wir wollen keine Schwierigkeiten", sagen sie. Denn Daniel Coly ist ein "Atika", und in der einheimischen Sprache Diola bedeutet das: "Krieger".

Als junger Mann von gerade einmal 16 Jahren schloss er sich den bewaffneten Rebellen an, die für eine Unabhängigkeit der Region Casamance im Senegal kämpften. Das war Anfang der 80er-Jahre. Daniel Coly hatte nach Arbeit gesucht und wurde mehrmals abgelehnt, denn sein Schulabschluss reichte nicht. Da entschied er sich für ein Leben als Krieger, die sich in den dichten Wäldern versteckten. Mit einem Gewehr in der Hand und einer Uniform. 

Dass er nicht allzu viele Einzelheiten erzählen möchte, liegt daran, dass längst nicht alle Ereignisse aufgearbeitet sind - auch wenn derzeit die Waffen schweigen. Aber auch daran, dass Daniel Coly diese Zeit hinter sich lassen möchte. „Ich habe mich entschlossen, zurückzukehren“, sagt er. Er möchte wieder ein anständiges Leben im Heimatdorf Balandine führen. Nun ist er mit dabei, als seine Nachbarn sich ein neues Haus aufbauen. Heute wird am Dach gearbeitet. Daniel Coly, der früher zu denen gehörte, die Häuser und Dörfer zerschossen und zerstörten, hilft mit. Versöhnung im Alltag - ist das schon der Frieden?

Mehr als 40 Jahre voller Gefechte und Kämpfe

Was Krieg ist und was Frieden, lässt sich in einem Konflikt wie in der Casamance nicht immer so genau sagen. Über 40 Jahre lang kam es immer wieder zu Gefechten zwischen Rebellen und Soldaten der senegalesischen Armee. Oft blieb es aber auch monate- und jahrelang ruhig – nicht umsonst gilt die Casamance zwar als Krisengebiet, aber auch als beliebtes Ziel europäischer Touristen. Es kommt immer darauf an, zu welcher Zeit man sich an welchem Ort befindet.

Wie grausam die Zeiten des bewaffneten Kampfes waren, kann man in einem alten Bericht der Menschenrechtsorganisation "amnesty international" aus dem Jahr 2003 nachlesen. Dort kamen einige Frauen zu Wort, die Rebellenangriffe überlebt hatten. Sie schilderten ihre Erlebnisse: Schläge und Vergewaltigung, Plünderungen, und oft die Entführung ihrer Männer, die als Kämpfer rekrutiert oder als Geiseln verschleppt wurden. "Ungefähr 1999 war auch unser Dorf in der Kampfzone", sagt Jacques Sagna aus dem Dorf Bassèré. Er ist der "Chef de Village" und spricht für die Dorfgemeinschaft. Ein Mangobaum spendet Schatten, während ein paar Meter weiter einige Maurergesellen Steine aufschichten und die Wände verputzen. Der Wiederaufbau hat begonnen. Jacques Sagna berichtet, wie sie sich damals entschließen mussten, aus ihrer Heimat zu fliehen. Manche gingen über die Grenze nach Guinea-Bissau, andere in die Regionalhauptstadt Ziguinchor, andere bis nach Dakar. Nach Jahren, in denen die Dorfgemeinschaft verstreut war, sind sie jetzt wieder zusammen.

Kirche spielt Vermittlerrolle

Casamance1Die Rückkehr ins Dorf Bassère hat begonnenDas Baumaterial und noch weitere Unterstützung kommt aus einem Programm der katholischen Diözese von Ziguinchor. Die Kirche spielt in dem Konflikt eine Vermittlerrolle – nicht nur jetzt beim Wiederaufbau, sondern bereits während der Verhandlungen um einen Waffenstillstand. Zwar ist der Senegal weitgehend muslimisch, doch die Katholiken genießen in Staat und Bevölkerung einen guten Ruf. Und auch zu den Rebellen fanden manche führenden Kirchenvertreter einen Zugang.

Es gehört nämlich zu den Sonderbarkeiten der westafrikanischen Geschichte, dass die Rebellenbewegung ausgerechnet von einem katholischen Priester gegründet wurde. Abbé Augustin Diamacoune Senghor war in den 1970er-Jahren eine Weile Direktor eines Priesterseminars, bevor er sich mehr und mehr der Politik zuwandte und für mehr Freiheit der Casamance kämpfte. So wird er zumindest von seinen Anhängern, die es bis heute gibt, beschrieben: Als Mann des Friedens, der nur die Gleichberechtigung der benachteiligten Minderheit der Diola im Sinn hatte. Wie sehr er den bewaffneten Rebellenkampf wirklich steuerte, ist umstritten. Ein einfacher Kämpfer wie Daniel Coly zumindest sagt: „Den Priester habe ich im Wald oft getroffen.“ In den 80er-Jahren saß Abbé Diamacoune aber auch einige Zeit in Dakar im Gefängnis. Er starb 2007 in einem Krankenhaus in Paris.

Beobachter des Casamance-Konflikts kommen eher zu dem Ergebnis, dass noch weitaus mächtigere Männer die Dinge beeinflussten. Vor allem die beiden Nachbarländer werden immer genannt: Aus Guinea-Bissau im Süden, wo mit den Diola dieselbe Volksgruppe lebt, die auch in der Casamance die Mehrheit stellt. Von dort sollen zuverlässig Waffen geliefert worden sein, während die Rebellen gleichzeitig ein Rückzugsgebiet fanden. Und im Norden, in Gambia, regierte bis 2017 der großspurige Yaha Jammeh, der seine Freude daran hatte, den größeren Nachbarn Senegal zu destabilisieren, indem er den Rebellen ebenfalls mit Geld und Waffen zur Seite stand.

Wunsch nach dauerhaftem Frieden

"Naja, nun leben wir in einer Phase der Ruhe", sagt Abbé Fulgence Coly. "Unser Wunsch ist es, dass aus der jetzigen Waffenruhe ein dauerhafter Frieden wird." Abbé Coly leitet die Caritas von Ziguinchor und koordiniert die Wiederaufbauprogramme. Ihn besorgt zum Beispiel, dass noch immer viele Jugendliche aus der Gegend weggehen - trotz der vielen Rückkehrer.

Tropenholz bringt Baumaterial und Brennstoff - und richtig viel GeldTropenholz bringt Baumaterial, Brennstoff und richtig viel Geld - ist aber illegalViele senegalesische Asylbewerber in europäischen Ländern wie Frankreich, Italien und auch Deutschland kamen aus der Casamance. Auch dann noch, als der übrige Senegal bereits zu den sogenannten "sicheren Herkunftsländern" befördert wurde. "Bis nach Marokko hatte ich es auch schon geschafft", sagt Joseph Sagna. "Ich war außerdem in Mauretanien und in Mali." Doch bis hinüber nach Europa kam er nicht. Stattdessen gehört auch er nun zu denen, die im Dorf Bassèré ein neues Haus errichten. Das Fundament und die Grundmauern aus Lehm stehen schon. Bald soll das Dach folgen. Joseph Sagna lebte 24 Jahre in der Hauptstadt Dakar, er arbeitete auf Baustellen als Maurer und Klempner. "Dann ist mein Vater gestorben und meine Mutter. Wir haben sie beerdigt, und ich wusste: Es ist Zeit, nach Hause zu gehen." Mit der Reisernte ist er zufrieden, der Regen sei dieses Jahr sehr gut gewesen.

"Wir leben hier und hungern!" sagt ein Nachbar von Herrn Sagna plötzlich mit lauter Stimme. Es gefällt ihm offenbar nicht, dass alle so zuversichtlich und hoffnungsvoll ihre halb gebauten Häuser zeigen. "Uns fehlt der Strom, uns fehlt das Wasser", setzt er seine Klage fort. In der Tat wird es nicht reichen, einfach nur die verfallenen Behausungen zu erneuern. Zu einem echten Dorfleben, zu einem Leben in Gemeinschaft, gehört noch mehr. Vor allem braucht man auch Geld dafür. Woher soll das kommen?

"Wir schlagen Holz, machen Kohle daraus und verkaufen das", sagt einer der Männer am Dorfplatz. Wissen sie, dass das eigentlich vom Staat verboten ist, wegen der Gesetze zum Schutz des Tropenwaldes? "Natürlich wissen wir das", heißt die Antwort. "Aber was sollen wir machen? Wir brauchen das Geld!" Die Hölzer der Region sind weltweit begehrt, ob Rosenholz, das nach China geht, oder das Holz von Bäumen, deren Namen man in Europa kaum kennt:  die Palmyrapalme (Einheimische nennen sie „Ronier“) oder der Kapokbaum („Fromager“), der 500 Jahre alt werden kann. Es soll eine Art Holzmafia in der Casamance geben, die auf Schmugglerpfaden das geschlagene Holz über die Häfen in Dakar und Banjul außer Landes schafft. Den Menschen in den kleinen Dörfern zahlt man schnelles Geld für schnell gefällte Bäume. "Das tun wir nicht!", beteuern die Männer aus Bassèré, und sagen: Die Bäume seien heilig, sie sind wichtig in ihrer traditionellen afrikanischen Religion. Man möchte es ihnen gerne glauben.

Frauenpower in der Casamance

So oder so: Alternativen sind gefragt. Und da setzt man am besten auf die Frauen. Ein Mitarbeiter der Caritas Ziguinchor sagt, warum viele Programme auf die Kraft der Frauengruppen vertrauen: „Die Frauen organisieren sich besser. Sie arbeiten härter. Und sie haben eine größere Ausdauer.“

Viele Programme vertrauen auf das Engagement der FrauengruppenViele Programme vertrauen auf das Engagement der Frauengruppen

"Schauen Sie nur her", sagt die Bäuerin Ami Manga und bringt einen Plastikeimer voller bunter Gemüsesorten, wie Paprika, Zwiebeln und Tomaten. Sie macht mit ihren Nachbarinnen gerade eine kleine Pause nach getaner Arbeit. Im Schatten eines Baumes berichtet sie, wie sich die Frauen zusammengeschlossen haben und nun ein Feld in Gemeinschaftsarbeit bewirtschaften. Das heißt, jede Frau behält ihre eigenen Gemüsebeete, aber sie teilen sich das Brunnenwasser, kaufen das Saatgut gemeinsam und kümmern sich, dass die Ernte pünktlich auf den Markt kommt. Die Region ist ertragreich, sie könnte viele Menschen ernähren. Doch der Klimawandel ist da, die Regenzeiten verändern sich, Trockenheit und Dürre drohen. So bleibt die Zukunft der Casamance weiter unsicher. Gerade erst im Juni 2021 durchkämmte die senegalesische Armee erneut den Dschungel und hob einige verbliebene Rebellenlager aus. Kaum jemand weiß, wie viele aktive Kämpfer es noch gibt, und wie viele Landminen noch in den Feldern liegen, die jederzeit explodieren könnten. Immerhin, dem ehemaligen ,,Atika“ Daniel Coly haben sie wieder einen Platz in ihrer Mitte gegeben. Die Nachbarn würden ihn freundlich grüßen, sagt er, und er dürfe jetzt die Fußballmannschaft seines Dorfes trainieren. Das mögen vielleicht nur kleine Schritte auf einem langen Weg sein. Andererseits: Wo man auf Tore schießt und nicht mehr auf Menschen, da kann der Frieden doch nicht mehr weit sein.

INFO: Senegal - Grund zur Hoffnung

Es gibt gute Gründe dafür, die Region Casamance unter dem Begriff "Krisengebiet" zu betrachten. Und dennoch: Das gesamte Land Senegal zählt eindeutig zu den Hoffnungsträgern in Westafrika.  Die Demokratie ist stabil, und in vielen Bereichen von Wirtschaft bis Bildung hat es große Fortschritte gegeben. Man sieht es am Rande der Hauptstadt Dakar: Dort entsteht gerade ein modernes neues Stadtviertel mit Wohn- und Geschäftsgebäuden, dazu einem Sportstadion und einer Konzerthalle. Das heißt nicht, dass es keine Schwierigkeiten gäbe. Die Regierung von Macky Sall konnte bei weitem nicht alle Versprechungen einhalten, entsprechend wächst die Unzufriedenheit. Das zeigte sich zum Beispiel im Frühjahr 2021: Ein beliebter Oppositionsführer wurde verhaftet, seine Anhänger protestierten, es kam zu Krawallen und Szenen der Gewalt, wie man sie bisher nicht aus dem Senegal kannte. Die Lage um die Corona-Pandemie hatte dazu beigetragen, denn die strikten Lockdown-Maßnahmen legten die Kluft zwischen Arm und Reich dramatisch offen. Straßenhändlerinnen, kleine Handwerker und Ladenbesitzer mussten plötzlich ums finanzielle Überleben fürchten. Im "Monat der Weltmission" Oktober nimmt missio den Senegal in den Blick. Informationen unter www.weltmissionssonntag.de. Kurzfilme z.B. über die Casamance sind im Youtube-Kanal von missio München zu sehen.

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