SO SCHWER sei das doch nicht, sagt Donwilson Odhiambo, als er durch die Gassen seines Heimatviertels streift. „Einfach hier auf der linken Seite an der Mauer entlang gehen“, sagt er. „Dann kann man sich gar nicht verlaufen!“ Für ihn kein Problem, er ist ja hier aufgewachsen in Kibera, dem größten Slumgebiet in Nairobi, der Hauptstadt von Kenia. Das Labyrinth aus Holz- und Blechhütten, abenteuerlich verkabelten Stromleitungen und wahllos aufgetürmten Müllbergen ist für ihn ganz einfach Heimat und Zuhause. Und nicht nur das, denn Kibera ist auch sein Arbeitsplatz.
Donwilson Odhiambo arbeitet als Fotograf. Mit dem Handy knipsen viele, er hat sein Handwerk gelernt, zunächst im Kurs einer NGO, später ging er sechs Monate beim Fotografen Larry La Bonte in den USA in die Lehre. Jetzt hat er ein Zimmer in Kibera gemietet und dort ein kleines Studio eingerichtet. Seine Bilder zeigen ein anderes Afrika, als man es oft zu kennen glaubt. Weniger Armut, mehr Würde, weniger Bittsteller, und mehr Menschen, die fleißig und kreativ dem Leben jedes Mal wieder einen weiteren Tag abringen.
Die Slumsiedlung Kibera im Südwesten von Nairobi ist das Zuhause für etwa 200.000 Menschen. Sie kämpfen täglich um ihr Überleben.
Die dunklen Seiten versteckt er nicht: Er hat Bilder von Jugendlichen in seinem Archiv, die Narben von gewaltsamen Bandenkriegen zeigen. Mädchen, die ungewollt schwanger wurden. Gangster, denen er zu nahe kam, haben ihn schon einmal verprügelt. Er zeigt das auf seinen Profilen bei Instagram, Facebook und so weiter. Früher musste man entdeckt werden – heutzutage kann man sich selbst vermarkten. Auch in einem Armenviertel wie Kibera, wo ungefähr 200 000 Menschen leben. Die Zahl ist nur geschätzt, andere sprechen von bis zu einer Million. Kibera bedeutet „Dschungel“ oder „Wald“, und früher standen hier auch überall Bäume. Bis in britischer Kolonialzeit eine Siedlung für afrikanische Soldaten entstand. Die alte Bahnlinie der „Uganda Railway“ führt noch heute durch Kibera.
"Traumland für einen Fotografen"
Donwilson trägt seinen Namen, weil sein Vater ein Fan des amerikanischen Kampfsportlers Don Wilson war. Kibera sei „ein Traumland für einen Fotografen“ sagt er. Er nimmt sich Zeit, möchte seine Mitmenschen nicht einfach nur „abschießen“. Als er eine Frau fotografiert, die mühsam Brennholz sammelt und damit ihr Leben bestreitet, fragt er sie: Woher kommt sie? Wie geht es ihr? Wie kann sie überleben?
Plötzlich gibt es Aufruhr: Schulkinder laufen zusammen, Motorräder halten an, Handykameras werden gezückt. Eine rot gekleidete Frau stapft durch die Straßen, Sonnenbrille und schwarze Perücke erhöhen die Wirkung. „Ich bin Manzi wa Kibera“, stellt sie sich vor. Ein Künstlername, der so etwas bedeutet wie „Miss Kibera“. Sie verteilt rote Rosen an die Menschenmenge. „Ich komme von hier, und oft werden wir vergessen. Ich will die Leute dran erinnern, dass es uns gibt“, sagt sie. Mit ihren Kanälen im Internet und Social Media ist sie zu einem lokalen Star geworden, die Boulevardmedien berichten begeistert über ihre Auftritte und über ihre angeblichen Liebschaften. Wird so der Aufstieg aus der Armut möglich?
Schönheit und Schrecken: "Manzi Wa Kibera", also "Miss Kibera", lautet der Künstlername dieser Frau, die inmitten der Armut pure Lebensfreude verkörpert.
„Up and Out“ – nach oben und nach draußen. Das sind die Träume, die hier viele haben. „Jeder versucht irgendwie, aus Kibera herauszukommen“, sagt Donwilson Odhiambo. „Und jeder versucht, es irgendwie nach oben zu schaffen.“ Verlockend ist der Weg, als Star im Internet berühmt und damit reich zu werden. Donwilson selbst ist auf einem guten Weg. Seine Bilder werden von renommierten Agenturen weltweit vermarktet, sie erscheinen
in Zeitungen und Magazinen in Europa und den USA.
Geeignete Kulisse für bunte Bilder
Aber besonderer Reichtum ist damit nicht verbunden. „Muss ich später holen“, sagt Donwilson zu einer Verkäuferin an der Ecke. Sie hat ihm gerade ein farbenfrohes Stück Stoff vorgeführt, in leuchtendem Rosa. „Ich habe eine Idee“, sagt er. „Da lässt sich eine schöne Bilderserie daraus machen.“ Der Slum, in dem das Leben oft trist ist, bietet die geeignete Kulisse für bunte Bilder. Problem: „Ich habe gerade kein Geld“, sagt Donwilson. Er kann sich das Stück Stoff nicht leisten.
Also schlendert er erstmal weiter. Demnächst wird er sowieso bei der „Kibera Fashion Week“ als Fotograf dabei sein. Ja, auch das gibt es: Eine Modenschau mit Models, die selbst in den Hütten von Kibera aufgewachsen sind. Stolz werden sie sich der Welt präsentieren. Mit ihrer Schönheit und ihrem Willen zum Überleben.