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11. April 2024
Reportage:   Barbara Brustlein   Fotos: Friedrich Stark, Raymond Salloum und Imago
Reportage aus Syrien

Erstarrtes Land

Die Jahre des Syrien-Kriegs. Die Corona-Pandemie. Die Wirtschaftssanktionen, die vor allem die Bevölkerung schwer treffen. Das verheerende Erdbeben Anfang 2023, ein paar Monate später die Eskalation der Gewalt in Israel und Gaza und die Angst vor einem Flächenbrand in der Region. Wie hält man aus, was eigentlich nicht mehr auszuhalten ist? Das missio magazin fragt in Aleppo und Damaskus nach.
11. April 2024
Text: Barbara Brustlein   Fotos: Friedrich Stark, Raymond Salloum und Imago

Reportage Libanon ZwangsarbeitSchwester Jihane Atallah: "Auch Kinder des Krieges haben ein Anrecht auf Freude!"ES IST DIESER LETZTE SATZ, der nachhallt. Die Verbindung nach Damaskus ist längst gekappt. Der Bildschirm, auf dem gerade noch die müden Augen von Sister Jihane Atallah zu sehen waren, ist schwarz. Aber immer noch klingt er nach, dieser Satz: „Kinder des Krieges“ seien ihre Schülerinnen und Schüler. „Aber auch Kinder des Krieges haben ein Anrecht auf Freude!“

Schwester Jihane ist Rektorin der Al Riaya-Schule, einer Privatschule in Damaskus. „Viele Familien sind aus dem Norden Syriens geflohen und leben nun in Damaskus. In den staatlichen Schulen sind oft mehr als 60 Schüler in einer Klasse“,sagt sie.

Ein Land in tiefer Armut

Fast zwei Millionen syrische Kinder und Jugendliche erhalten derzeit gar keinen Unterricht, das ist fast die Hälfte aller Schulpflichtigen. Das Land ist in eine tiefe Armut gestürzt: Die zermürbenden Jahre des Krieges haben viele Familien zu Vertriebenen innerhalb des eigenen Landes gemacht. Die Sanktionen, die den Sturz von Machthaber Assad bewirken sollten, haben vor allem die Bevölkerung schwer getroffen. Heute stehen viele Familien in Syrien vor dem Abgrund. Sie wissen nicht, woher sie das Geld für ein warmes Essen nehmen sollen, für Kleidung oder dafür, die Kinder zur Schule zu schicken.

Die Besançon-Schwestern, die die Al Riaya-Schule in Damaskus führen, nehmen auch Kinder auf, deren Eltern die Schulgebühren nicht aufbringen können. Eine der Schülerinnen ist die 15-jährige Sophia: Sie stammt aus einer Familie syrischer Christen, die im Land geblieben sind, weil sie die Hoffnung nicht aufgeben wollten, trotz allem. Sophia, ihre Mutter und Geschwister leben in einer kleinen Wohnung in einem Vorort von Damaskus. Der Vater verstarb vor einigen Jahren an Krebs. Der Versuch, Medikamente für den Krebskranken aufzutreiben, war vergeblich: In Syrien gibt es vieles gar nicht oder nur auf dem Schwarzmarkt zu kaufen, zu unbezahlbaren Preisen. „Ohne die Schule hätte ich nichts“, sagt Sophia. „Die Schule ist das Wichtigste in meinem Leben.“

Kirchliche Hilfe als letzte Hoffnung

Schulprojekt, Sr. Jihan an der Al Riaaya al Khasa Schule der Besancon Schwestern in Damaskus, SyrienAlltag in der Al-Riaya-Schule in Damaskus.Die Schule als Sprungbrett, aber in welche Zukunft? „Ohne die Schule wäre ich nur auf der Straße“, sagt der 15-jährige Wajed. „Die Schule ist der erste Schritt, um aus meinem Leben etwas zu machen.“  Auch er besucht die Al-Riaya-Schule der Besançon-Schwestern, auch seine Mutter kann die Schulgebühren nicht bezahlen. Wajed war fünf Jahre alt, als sein Vater im Krieg durch eine Bombe ums Leben kam. Seine Mutter arbeitet als Ingenieurin für einen staatlichen Betrieb. Aber das Gehalt reicht nicht,  um Wajed und seine beiden jüngeren Schwestern durchzubringen. „Das Leben hier ist unglaublich teuer“, sagt Schwester Jihane. „Eine arme Familie hier kann eigentlich nur auf die Kirche zählen.“ 

Anruf in Aleppo: Zweimal bricht die WhatsApp-Verbindung ab. Immer wieder schlingert der Ton, verschwindet. Dann auf einmal ist sie da, die Verbindung und Bruder Georges Sabeh sagt: „Wir dachten immer, irgendwann muss es doch besser werden. Aber es ist nur schlimmer geworden.“ Georges Sabeh gehört zu den Ordensleuten der Blauen Maristen. Gemeinsam mit den Einwohnern von Aleppo haben sie den Bürgerkrieg überlebt, die Pandemie, das Erdbeben. Sie haben Notrationen an Essen  verteilt, Erdbebenopfer beherbergt, vereinsamte alte Menschen besucht. Und sie dachten, der Schrecken müsse doch ein Ende nehmen. Aber: Das hat er nicht. „Nach dem Erdbeben kam das wirtschaftliche Beben“, sagt der Ordensmann. Die Lebenshaltungskosten stiegen und stiegen. Innerhalb von zehn Tagen verdoppelte sich der Brotpreis.

Brot ist unbezahlbar

mm 3 2024 reportage syrien Bruder Georges SabehBruder Georges Sabeh mit einem Einwohner Aleppos.Acht von zehn Syrern leben heute unter der Armutsgrenze. Das sind 18 Millionen Menschen – so viele wie in Bayern und Rheinland-Pfalz zusammen. Das, was sie zum Leben brauchen, ist schlicht nicht verfügbar. „Brot auf dem freien Markt kann sich keiner mehr leisten. Die meisten Menschen leben von einer Lebensmittelkarte, die die Regierung bezuschusst. Zucker, Reis, Öl und Brot werden subventioniert und zu niedrigeren Preisen an die Bevölkerung verkauft“, sagt er.

„Eine Familie erhält pro Jahr 50 Liter Heizöl. Wenn alles gut geht, wird man von der Regierung benachrichtigt, wann man sein Heizöl abholen kann. Dann geht man mit zwei Kanistern hin und steht dafür an. Manche kaufen das Öl auf dem Schwarzmarkt – hier kostet es das 10 bis 12-fache.“ Die Ordensleute der Blauen Maristen kümmern sich um die, deren Gehalt zum Leben nicht ausreicht. Es werden mehr und mehr. 1 100 Essenskörbe geben die Ordensleute und ihre Helferinnen und Helfer monatlich an notleidende Familien aus. Im Korb sind Öl, Reis, Nudeln, Zucker, Margarine, Mortadella, Marmelade, Schokolade, Hummus und Konservendosen. „Die Körbe sind eine Hilfe, aber es reicht nicht“, sagt er.

Und dann gibt es noch die alten Menschen, deren Angehörige das Land verlassen haben. Tag für Tag kommen mehr als 250 von ihnen, um eine warme Mahlzeit zu erhalten. „Eigentlich haben wir damit während der Corona-Zeit begonnen“, sagt Br. Georges. „Aber wir verteilen immer noch Essen.“

 

 

SYRIEN, SEINE JUGEND UND MISSIO MÜNCHEN
Bis heute sind viele Schulen und Universitäten zerstört, eine große Zahl von Lehrkräften hat das Land verlassen und immer weniger Eltern sind in der Lage, die Kosten für die Ausbildung und den Lebensunterhalt ihrer Kinder zu tragen. Die Präsenz katholischer Organisationen, die im Dienste der Armen arbeiten, ist nach wie vor von entscheidender Bedeutung, um die Armut von Kindern und Jugendlichen zu lindern.

Über seine Projektpartnerinnen und Projektpartner vor Ort steht missio München verarmten Familien zur Seite, um Tausenden von Jungen und Mädchen den Zugang zu ihrem Grundrecht auf Bildung zu ermöglichen. Im Fokus steht dabei die Finanzierung von Schulgebühren, Schreib- und Lernmaterialien und Transportkosten. Knapp 7 000 Kinder in Syrien erhalten durch diese Hilfe eine Chance auf eine Zukunft.

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